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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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machte, sich aufzurappeln und dem Befehl Folge zu leisten, nickte er einem seiner Begleiter zu. Dieser trat augenblicklich hinter den Knaben und packte ihn am Genick. Der Ruck, mit dem er auf die Füße kam, ließ ihn schwindelig zurücktaumeln, doch bevor er zur Besinnung kommen konnte, stülpte ihm der Mann Hemd und Schecke über den Kopf. Fahrig suchte er nach den Ärmellöchern, und als der Ritter nach seinem Fuß griff, zog er diesen hastig zurück. Um dem befürchteten Schlag auszuweichen ging er in die Knie, fuhr mit dem linken Bein in die enge Hose und zurrte nach kurzem Kampf den Gürtel zu.
    »Los!«, befahl der blonde Hüne, dessen Bekanntschaft Wulf in den vergangenen Tagen allzu genau gemacht hatte, und rammte ihm den Knauf seines Schwertes in die Rippen. »Der Graf wartet nicht gerne.« Mit diesen Worten trieb er den jungen Mann durch den Zelteingang nach draußen, wo Wulf geblendet die Augen schloss. Die ungewohnte Helligkeit schmerzte ihn, doch bevor er sich an das Sonnenlicht gewöhnen konnte, waren sie bereits in das dämmrige Innere der benachbarten Unterkunft eingetaucht. Mehr als ein Dutzend Mal so geräumig wie das beengte Gefängnis nebenan, fasste der prächtige Poulun wohl an die einhundert Menschen – was in etwa der Anzahl der Augenpaare entsprach, die den Neuankömmling teils feindlich, teils neugierig musterten.
    In der Mitte des Prunkzeltes thronte der Graf von Württemberg auf einem mit Schnitzereien verzierten Stuhl, vor dem ein als Halsgeige oder Schandkragen bezeichnetes Holzinstrument auf dem Boden lag. Dieses – mit Löchern für Hals und Handgelenke versehen – wurde für gewöhnlich einem Verbrecher angelegt, bevor er zum Pranger oder zur Hinrichtung geführt wurde. Rechts und links wurde der Graf von je drei Männern flankiert, deren Uniformen ein grüner Pinienzapfen auf rot-weißem Grund zierte. Wulf stockte der Herzschlag. Augsburger! Unter Aufbietung all seiner Selbstbeherrschung unterdrückte er ein Schaudern, doch der strenge Ausdruck auf dem Gesicht Eberhards von Württemberg drohte, ihm die Haltung zu rauben.
    Ein leises Raunen ging durch die Reihen, als Eberhard sich schließlich erhob und langsam, beinahe zögerlich auf Wulf zutrat. Vor ihm angekommen, betrachtete er ihn einige Zeit lang neugierig, bevor er einem der Augsburger ein Zeichen gab. Daraufhin entrollte dieser ein Pergament und begann, mit monotoner Stimme zu verlesen: »Hiermit übergibt der Graf Eberhard von Württemberg diesen Verbrecher der Stadt Augsburg, damit diese die Todesstrafe an ihm vollstrecken möge. Die Verurteilung ist rechtsgültig und kann durch niemanden außer den Grafen selbst aufgehoben werden. Möge der Herr den Sündern beistehen.«
    Kaum waren diese Worte verhallt, stieß sein Bewacher Wulf auf die Knie und legte ihm mit der Hilfe eines der Augsburger den Schandkragen um. Gegen die in ihm aufsteigende Todesfurcht ankämpfend, wehrte Wulf sich mit aller Kraft, aber gegen die kampferproben Ritter war er machtlos.
    »Ich habe sie nicht getötet!«, stieß er heftig atmend hervor, als ihn die Männer in Richtung Ausgang zerrten. Die einzige Reaktion, die er mit diesem Ausruf erntete, war ein kurzes, trockenes Lachen des Grafen.
    Draußen angekommen wandten sich die Männer mitsamt ihrem Gefangenen nach links, doch anstatt auf eine Gruppe wartender Reittiere zuzusteuern, schwenkten sie nach einigen Schritten erneut nach links und befahlen Wulf nach kurzer Zeit, vor einer schäbig wirkenden Unterkunft stehen zu bleiben. Zwar trug auch diese als Teil der Zeltstadt das Wappen des Grafen von Württemberg, doch wirkte sie mehr wie ein Unterschlupf für einfache Fußsoldaten als wie etwas, das man hinter dem innersten Schutzwall einer hochgestellten Persönlichkeit erwartet hätte. Nachdem einige geflüsterte Worte ausgetauscht worden waren, schlüpften zwei der Ritter in Windeseile aus den rot-weißen Uniformen und drückten die Waffenröcke ihren Begleitern in die Hände. Als sie die unausgesprochene Frage auf Wulfs Zügen lasen, grinsten sie breit, bevor sie ihn in die Mitte nahmen und ohne Erklärung in das Rundzelt bugsierten.
    Neben einem grob gezimmerten Tisch und einem dreiarmigen Kerzenleuchter wartete eine hochgewachsene Gestalt, der bei Wulfs Anblick alle Farbe aus dem Gesicht wich. »Gütiger Gott!«, flüsterte der dunkelhaarige, breitschultrige Hüne, dessen Augen sich ungläubig weiteten. »Es ist wahr.« Er wollte gerade auf Wulf zutreten, als ihn die Stimme des Grafen, der

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