Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
wieder hingebungsvoll gepflegt hatte, wenn er sich bei einem seiner zahllosen Stürze mal wieder etwas schwerer verletzt hatte. »G ut, dass der Junge diese robuste Natur hat«, hörte er Brongelle noch sagen, und manchmal hatte selbst Arvan aus ihren Worten, mit denen sie über seine schnelle Heilung staunte, noch etwas anderes herausgehört. Ein leises Unbehagen und die unausgesprochene Frage, ob denn das alles wohl mit rechten Dingen zuging.
Aber mit den Jahren hatten sich Gomlo und Brongelle mehr oder minder daran gewöhnt, dass ihr Sohn nicht so war wie alle anderen. »E r kann nichts dafür, dass er mit zu langen Beinen und zu kleinen Füßen geboren wurde«, hörte er Gomlo einmal zu Brongelle sagen. »D a sind Verletzungen aus Ungeschick nun mal unvermeidlich. Aber wenn uns ein Kind geboren wäre, dem ein Arm gefehlt hätte oder das schwachsinnig gewesen wäre, hätten wir es doch auch geliebt– oder nicht?«
»D u hast recht, Gomlo«, hatte Brongelles Antwort gelautet. »E s hätte schlimmer kommen können.«
»M ag ja sein, dass unser Sohn für die meisten Handwerkskünste nach Art der Halblinge vollkommen unbegabt ist– aber er weiß Baumschafe zu beruhigen! Und wer mit Baumschafen umgehen kann, der wird immer sein Auskommen haben, Brongelle. Denn die sind doch die Grundlage unseres Lebens. Was würden uns die filigranen Arbeiten von Schnitzern, Feinschmieden und Schreibern oder das Wissen um die Zubereitung der magischen Essenz des Baumsaftes nützen, wenn wir diese Tiere nicht hätten und uns die Mägen knurrten?«
»D u hast ja so recht, Gomlo. Und vielleicht ist es sogar das Beste, wenn nichts Großes aus ihm wird. Ruhm ist doch sowieso nur gefährlich und ruft Neider herbei.« Brongelle hatte geseufzt und noch hinzugefügt: »I ch hoffe nur, dass er nicht eines Tages auch von diesem krankhaften Traum vom Leben in der großen Stadt infiziert wird, wie es so vielen von uns geschah.«
Sie hat tatsächlich »von uns« gesagt, ging es Arvan jetzt durch den Kopf– genauso vor vielen Jahren, als er dieses Gespräch seiner Zieheltern zufällig, und ohne dass diese es geahnt hätten, mit angehört hatte. Von uns. Auch wenn andere über ihn gespottet und sich seiner Ungeschicklichkeit wegen über ihn lustig gemacht hatten, so war bei Brongelle immer spürbar gewesen, dass sie ihn trotz alledem bedingungslos angenommen und geliebt hatte, wie er es ansonsten wohl auch von seiner leiblichen Mutter nicht besser hätte erwarten können.
»A rvan?«
Wie aus weiter Ferne drang Zaleas leise flüsternde Stimme in seine Gedanken und mischte sich dabei mit dem nächtlichen Chor, den all die im Wald beheimateten Geschöpfe, denen die Dunkelheit nichts ausmachte, zusammen ertönen ließen.
»A rvan? Du sagst ja gar nichts mehr!«
Arvan hatte Tränen in den Augen. Tränen der Trauer, aber auch des Zorns.
Ein Hochkönig im Blutrausch
Eine Hornechse rammte das vorn auf dem Nasenpanzer sitzende Haupthorn in den Leib von Orfons Schlachtross. Mühelos drang das Horn durch die Panzerung. Die Hornechse war untot und ganz offensichtlich schon einmal erschlagen worden. Das Tier war schrecklich verwundet. Der Schädel war eingedrückt, so als wäre er von einem der Felsbrocken, die während der Schlacht an der Anhöhe der drei Länder durch Elbenmagie vom Himmel gefallen waren, getroffen worden. Und in seinen Bauch waren tiefe Wunden gerissen worden. Die ausklappbaren Seitensporne der Kriegselefanten, an deren Enden sich scharfe Klingen aus bestem altvaldanischem Stahl befanden, hatten sie wohl verursacht und die Hornechse ausbluten lassen. Aber das dämonische Scheinleben, das sie erfüllte, war offenbar nicht auf den Fluss des Blutes angewiesen. Schwarzer Rauch quoll aus Nüstern und Maul des Wesens, das einst ein Reittier für Orks gewesen war und sich jetzt selbst in ein kampfwütiges Monstrum verwandelt hatte. Orfon stieß mit der Magischen Lanze nach dem gewaltigen, elefantengroßen Angreifer.
Aber die Wunde, die seine Waffe riss, war nur eine unter vielen, die dieses Geschöpf schon davongetragen hatte. Und sie blutete nicht einmal, geschweige denn, dass sie die Hornechse kampfunfähig gemacht hätte.
Das untote Monstrum hob den Kopf und dadurch das Streitross mitsamt dem König von Bagorien ein Stück an. »D u elendes Ungeheuer!«, rief Orfon und stach in das Auge der Hornechse. Ein dröhnender Laut drang aus deren Maul, während sie das aufgespießte Schlachtross zur Seite schleuderte und abzuschütteln
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