Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
Stadt bejubeln ließ. Man hatte ihm ein Pferd gegeben, und auf dem ritt er nun durch die Straßen der Stadt auf die Burg zu. Ein Oger hatte dem so furchtbar geschwächten und gezeichneten Mann in den Sattel helfen müssen. Aber dieser Augenblick eines vermeintlichen Erfolgs setzte offenbar in Orfon die letzten Kräfte frei.
Kalamtar deutete unterdessen zu den fernen Reihen der Feinde hinüber, die zwar inzwischen ein ganzes Stück weiter vorgerückt waren und sich neu formiert hatten, aber noch immer knapp außerhalb der Reichweite der Katapulte blieben.
»D ie Übermacht ist erschreckend«, sagte Kalamtar. »U nd was Orfons Triumph angeht, so sollten wir ihm diesen gönnen.«
»E r wird sich vermutlich nicht lange daran freuen können«, murmelte Candric finster, wobei seine linke Hand den Griff des Schwertes an seiner Seite umfasste.
Hornsignale ertönten in diesem Augenblick.
Es waren Signale, die die Ankunft von Schiffen meldeten.
»D ie Dalanorier kommen!«, rief einer der Wachsoldaten auf der anderen Seite des Turms. »E ine ganze Flotte.«
Kalamtar und Candric wechselten einen kurzen Blick.
»O rfon muss wirklich mit den Göttern im Bund sein«, stieß Kalamtar hervor. »S o lange warten wir nun schon auf König Harrgyrs Unterstützung.«
Candric ging mit weiten Schritten zur Südseite des Turms, sah über die Zinnen, von wo aus man einen hervorragenden Blick über den Hafen von Gaa, die Flussmündung und den Langen Fjord hatte.
Mindestens zwei Dutzend braune Segel hoben sich gegen das Blau des Meeres ab. Und die Banner an den Masten zeigten ein Schwert, das sich mit einer Streitaxt kreuzte– das Zeichen von Harrgyr, dem König des Dalanorischen Reiches.
»S o waren die diplomatischen Anstrengungen, die Dalanorier in unser Bündnis zu holen, doch nicht vergebens«, stieß Candric von Beiderland erleichtert aus.
»V ielleicht wird uns das im Moment retten«, meinte hingegen Kalamtar ziemlich skeptisch und gab zu bedenken: »A ber es macht unsere Situation auch komplizierter!«
Neldos Kampf
Neldo kauerte an einem Bachlauf, der sich schließlich in einen kleinen See ergoss. Im Wesentlichen staute ihn der für einen Halbling beinahe brusthohe Wurzelstrang eines unbewohnten Riesenbaums auf. Neldo schöpfte etwas Wasser mit der Hand. Schon seit Tagen irrte er mehr oder minder ziellos durch den Wald, getrieben von der vagen, völlig irrealen Hoffnung, dass er vielleicht doch noch auf Bewohner von Gomlos Baum stoßen würde, die das Massaker der Orks überlebt hatten. Und wenn er schon nicht auf seine Lieben und Verwandten oder irgendeinen anderen Bewohner seines heimatlichen Wohnbaums traf, dann doch vielleicht auf Halblinge anderer Bäume, die es geschafft hatten, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen und irgendwo in Erd- und Wurzelhöhlen zu verbergen.
Neldo war tatsächlich auf solche Flüchtlinge gestoßen– oder besser gesagt auf das, was von ihnen übrig geblieben war. Ihre zertrümmerten Schädel, aus denen die Orks das Hirn geschlürft hatten, waren achtlos weggeworfen worden. Die aus leichtem Stahl gefertigten zierlichen Schwerter waren zerbrochen worden. Für die Orks waren sie offensichtlich unbrauchbar. Da die Rapiere der Halblinge zumeist perforierte Klingen hatten, um sie noch leichter zu machen, schienen sie den Orks nicht einmal wertvoll genug zu sein, um sie einzuschmelzen und daraus etwas anderes zu gießen. Die Habe, die die Flüchtlinge mit sich geführt hatten, war auf dem Boden verstreut gewesen. Immerhin hatte Neldo Rückschlüsse darauf ziehen können, von welchem Baum die Unglücklichen stammten.
Immer wieder war er in den letzten Tagen auf solche Orte des Grauens gestoßen. Aber noch furchtbarer als das, was die Orks bei ihren Massakern hinterließen, waren jene Plätze, an denen offensichtlich eine andere Art von grausamen Kriegern gewütet hatten, die ebenfalls recht zahlreich in Ghools Diensten standen: die Wolfsmenschen.
Die Halblinge, die von ihnen erschlagen worden waren, hatten sie gut sichtbar an die Stämme der Riesenbäume genagelt, wo die Aasfresser des Waldes sie schon nach kurzer Zeit so furchtbar entstellten, dass es unmöglich war, sie noch zu erkennen. Dass sie sich vorher verzweifelt gewehrt hatten, dafür sprachen einige erschlagene Wolfskrieger, die Neldo in ihrer Nähe gefunden hatte.
Das Knacken eines Astes ließ ihn aufhorchen.
Er wirbelte herum. Der Bolzen einer Armbrust schnellte haarscharf an ihm vorbei und blieb im Stamm des Riesenbaums
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