Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)

Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
Vom Netzwerk:
sich viele der niedergekämpften und zerstückelten Wiedergänger mit neuer, dämonischer Kraft. Schwarzer Rauch drang aus ihren Mäulern wie ein dunkler Frostatem.
    Ihr Götter, durchfuhr es Orfon schauernd. Wie soll man gegen einen Feind kämpfen, dem immer wieder neue Lebenskraft eingehaucht wird?
    Der Schattenvogel erhob sich wieder und flog auf die Stadt zu. Er dehnte sich dabei sehr stark aus. Dadurch wurde er weniger dicht, sodass die Sonne durch ihn hindurchschimmerte.
    Orfon riss sich den Harnisch und die Arm- und Beinschienen herab, um beweglicher zu sein, während der schwer verletzte und vor Schmerzen halb wahnsinnig gewordene Kriegselefant laut brüllend und trompetend der Stadtmauer von Gaa entgegenlief.
    Der Hochkönig schwang sich über den Rand der Gondel, warf zuerst die Magische Lanze zu Boden und sprang anschließend hinterher. Auf dem grasbewachsenen Boden rollte sich Orfon ab. Eine Schulter schmerzte, und er konnte sich im ersten Moment kaum rühren. Aber abzuspringen war besser als auf dem Rücken eines wahnsinnigen Elefanten auszuharren.
    Orfon kam wieder auf die Beine, griff nach der Lanze, die einige Schritte von ihm entfernt im Boden steckte, und hob sie auf.
    Starr vor Schrecken blickten die Soldaten auf den Wehrgängen der Stadtmauern dem immer größer und durchscheinender werdenden Schattenvogel entgegen. Ein Schuss aus einem Katapult löste sich. Der balkenlange Pfeil eines Springalds drang mitten durch dieses Schattengeschöpf, ohne dass dies irgendwelche Auswirkungen gehabt hätte. Und spätestens jetzt war auch dem letzten Verteidiger von Gaa klar, dass man diesen Gegner nicht mit jenen Waffen bekämpfen konnte, die ihnen zur Verfügung standen. Der Springald-Pfeil landete irgendwo auf dem freien Feld zwischen der Stadtmauer und den Massen der Angreifer. Letztere machten immer noch keine Anstalten, den geflohenen Truppen des Hochkönigs zu folgen und die Stadt anzugreifen. Stattdessen blieben sie in sicherer Entfernung und formierten sich neu. Sie hatten alle Trümpfe auf ihrer Seite und konnten es sich leisten zu warten.
    Entsetzensschreie gellten nun unter den Verteidigern auf den Mauern. Und diese Schreie kamen sowohl von den eigentlich als besonders unerschrocken geltenden Ogern als auch von menschlichen Soldaten.
    Orfon aber reckte dem Schattenvogel die Magische Lanze entgegen und rief: »D ies ist die Lanze, die einst Tarmon von Nalonien in den Magierkriegen trug. Ihre Zauberkraft tötet dich, du Schattengespinst!«
    Und dann schleuderte er die Lanze empor. Alle Kraft, die der erfahrene Kämpfer seinem fortgeschrittenen Alter zum Trotz noch aufbringen konnte, legte der Hochkönig von Athranor in diesen Wurf, und selten war ein Mann seines Alters gesehen worden, der einen derart hohen Wurf vollbrachte.
    Als sich der Schattenvogel über ihn legte wie ein tiefgrauer Todesdunst, durchdrang die Lanze diesen schattenhaften Feind, fiel dann senkrecht zurück und blieb mit dem Schaft tief im Boden stecken. Die Spitze war nach oben gerichtet.
    Orfon spürte für einen Augenblick eine Kälte wie nie zuvor in seinem Leben. Sie nahm ihn völlig gefangen; er war unfähig, sich zu bewegen oder auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
    Ihr seid dem Untergang geweiht, drang ein Gedanke mit so schmerzhafter Intensität in ihn, dass er am liebsten geschrien hätte. Aber nicht einmal das konnte er. Seine Lippen waren wie versiegelt, sein Herzschlag schien auszusetzen, und er konnte nicht einmal atmen. Der Schattenvogel zog weiter. Der dunstige Schatten, aus dem er bestand, erreichte die Mauern von Gaa, senkte sich über die Verteidiger auf den Mauern, zog über die Häuser bis zum Hafen, dann nordwärts bis zur Flussbrücke, die nach Neuvaldanien führte. Anschließend erhob er sich über die Stadt, drehte noch eine Schleife über der Burg des Statthalters und schrumpfte dann nach und nach auf die Größe einer gewöhnlichen Krähe zusammen. Anschließend flog er mit einer Geschwindigkeit gen Osten, die kein natürlicher Vogel hätte erreichen können. Schon kurz darauf verschwand er am Horizont.
    Einige Augenblicke herrschte Schweigen auf den Mauern von Gaa. Schließlich kamen Fußsoldaten aus dem Haupttor gelaufen, um sich um den Hochkönig zu kümmern. Er schien um Jahre gealtert zu sein. Sein graues Haar und der Bart waren schneeweiß geworden. Er sank auf die Knie, während einer der Fußsoldaten die Magische Lanze aus dem Boden ziehen wollte. Doch davon hielt ihn ein anderer ab.

Weitere Kostenlose Bücher