Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
Lirandil.
»E in bisschen kenne ich den Elb inzwischen«, ergänzte Whuon. »U nd ich würde sagen, dies war jetzt die diplomatische Art, dir zu sagen, dass er dich für nutzlos hält und dir nicht traut.«
»S o etwas hab ich mir schon gedacht«, lächelte Nomran-Kar säuerlich.
»A ber du solltest dir nichts daraus machen, Libellenreiter. Jedenfalls ist deine Chance, in einigen Wochen noch am Leben zu sein, beträchtlich größer als bei denen, die mit dem verrückten jungen Riesenschlächter da vorn losziehen«, meinte Whuon und deutete dabei auf Arvan, der gar nicht mitbekam, dass von ihm die Rede war.
In diesem Augenblick starrte Nomran-Kar mit weit aufgerissenen Augen zur Tür und stieß einen Schrei aus.
Ein Ork stand dort. Seine Kleidung starrte nur so vor Dreck, und er sah aus, als wäre er einer Schlammgrube entstiegen. Auf seinem Rücken trug er eine Streitaxt von monströser Größe. Ein Kurzschwert und mehrere Dolche steckten hinter dem Gürtel. Der Harnisch war mehrfach gebrochen, und die einzelnen Stücke wurden nur notdürftig mit Drahtstücken zusammengehalten. Seine gesamte Gestalt war von einer Schicht getrockneten Schlammes bedeckt, der auch das etwa knielange Wams nahezu erstarren ließ.
Der Ork schrie ebenfalls.
Arvan wirbelte herum, sprang von seinem Platz und wollte nach einer Waffe greifen. Den Beschützer hatte er jedoch nicht bei sich. Ferach hatte darauf bestanden, dass zumindest beim Mahl keine Waffen getragen wurden, da dies ganz grob gegen die elbenoidische Tradition verstoßen hätte.
Und so hatten sie alle ihre Waffen in den Quartieren zurückgelassen. Selbst Whuon, dem das überhaupt nicht behagt hatte.
Den Elbenstab allerdings hatte Arvan nicht abgelegt– und Lirandil hatte ihn darin unterstützt. Es hatte niemand daran Anstoß genommen, schließlich war der Stab nicht auf den ersten Blick als Waffe erkennbar.
Arvan riss den Stab hervor und spürte, wie die Kraft ihn durchflutete. Ja, jetzt ist der Moment, um ein Scheusal zu töten, wisperte die Gedankenstimme des Stabes. Oder war es vielleicht doch ein Gedanke, der schon lange in ihm geschlummert hatte und den tiefen Wunsch nach Rache zum Ausdruck brachte? Wut keimte in Arvan auf.
»A rvan!«, rief Lirandil und sprang ebenfalls auf. »D as ist ein Freund!«
Der Ork stieß einen durchdringenden Schrei aus.
Töte ihn! Jetzt! Sofort! Du kannst es – und du solltest nicht zögern, wisperte die Gedankenstimme, die immer bedrängender wurde.
»I ch dulde keine Gewalt in meinem Haus«, rief Ferach– aber Arvan nahm die Stimme des alten Elbenoiden nur wie aus weiter Ferne wahr.
Denk an Gomlo und Brongelle! Denk an all die Halblinge, die diese Scheusale, ohne zu zögern, umgebracht haben, bedrängte ihn unterdessen die Stimme von Neuem, und sie war dermaßen eindringlich, dass sie für Augenblicke alles, was durch seine Ohren in seine Gedanken hätte dringen können, überdeckte.
Alles, bis auf die Worte, die Lesene sprach.
»A rvan, dieser Ork ist seit einiger Zeit unser Gast. Ich selbst geleitete ihn zu einem unserer Dörfer am nördlichen Arm des Flussdeltas, weil es hier bei uns keinen Sumpf gibt, der ihm für die Schlammwäsche hätte dienen können. Er hat mir nichts getan– und auch sonst niemandem auf Colintia.«
Inzwischen hatte Lirandil die Tafel umrundet und sich zwischen den Ork und Arvan gestellt. »D ieser Ork ist hier, weil er uns von nun an begleiten und führen wird! Denn wenn Osgeion uns an der Küste des Ost-Orkreichs absetzt, dann liegt noch ein anstrengender Weg bis zu Ghools Neufeste vor, wo er sich verbirgt und wo er immer neue Kräfte sammelt.«
Der Ork riss in diesem Augenblick die Axt aus dem Futteral auf seinem Rücken. Er warf sie auf den Boden. Klirrend folgten diesen monströsen Waffen wenig später auch noch mehrere Dolche und das Kurzschwert.
Da ließ auch Arvan schließlich den Elbenstab sinken. Wie schade … Kein Orkblut wird vergossen, meldete sich die Gedankenstimme. Und er fühlte noch immer, wie die drängende Kraft des Stabes ihn durchflutete. Sie schien sich mit der zügellosen Wut zu verbinden, die ihn auch früher schon bisweilen erfasst hatte. Arvan atmete tief durch. Ich muss der Herr meiner selbst bleiben, dachte er– und er war sich für einen Moment nicht sicher, ob dies sein eigener Gedanke oder die Stimme des Stabes war. Lirandil zufolge war ja beides ohnehin dasselbe. Aber in diesem Augenblick hielt es Arvan zum ersten Mal für möglich, dass dies tatsächlich der
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