Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
vergangen war, als er erwachte. Er hatte wirre Träume gehabt. Jetzt fand er sich hinter dem Vogelreiter im Sattel wieder, fest umfasst von einem Arm, dessen Klauen ihm schmerzhaft in den Rücken stachen. Aber dieser Schmerz war nichts gegen das, was sein Kopf durchgemacht hatte. Er fühlte sich noch immer benommen, und sein Wille war auf seltsame Weise geschwächt. Ich bin Neldo, dachte er und war sich für einen Moment doch nicht vollkommen sicher, ob das überhaupt zutraf. Neldo. Neldo, vor dem ein einfaches Leben als Hersteller von Schnitzwerk nach Art der Halblinge gelegen hätte. Neldo, der sich ein abenteuerliches Leben wünschte und den der Fluch traf, dass sich dies schließlich auf eine ganz andere Weise erfüllte, als er erwartet hatte. Neldo, der sich Lirandil angeschlossen und ihn wieder verlassen hatte. Neldo, der Gefährte von Arvan Aradis, dem Schlächter des siebenarmigen Zarton …
Zuerst hatte Neldo das Gefühl, dass diese Gedanken ihm halfen, sein Inneres wieder zu ordnen. Aber das änderte sich, als immer wieder zwei Namen darin auftauchten– zwei Gesichter. Zwei Personen– ein Halbling und ein Elb. Arvan und Lirandil. Diese vogelartige Bestie manipuliert meine Gedanken noch immer, erkannte er dann. Und das einzige Ziel dabei ist es, alles über Lirandil und Arvan und den großen Plan zu erfahren, an dessen Ende Ghool nicht mehr existieren sollte!
Ein Krächzen drang in diesem Augenblick aus dem Schnabel des Vogelreiters und veränderte sich so, dass es beinahe wie ein höhnisches Gelächter klang.
Mit einer Stimme, die so tief war, dass Neldo sie zuerst kaum zu verstehen vermochte, sprach das Geschöpf dann zu ihm. »E s scheint dir ja wieder besser zu gehen.«
Der Vogelreiter hatte bestes Relinga gesprochen.
Neldo war nicht in der Lage zu antworten. Seine Zunge schien ebenso gelähmt zu sein wie sein restlicher Körper, und noch immer erfüllte ihn eine innere Kälte, wie der junge Halbling sie nie zuvor gefühlt hatte.
Nach und nach begann der Gefangene, seine Umgebung wahrzunehmen. Der Vogelreiter ritt über eine weite, grasbewachsene Ebene, wie sie für die Graslande des südlichen Rasal typisch war. In der Ferne waren ausgebrannte Gehöfte und Siedlungen zu sehen.
Vollkommen lautlos schnellte der Vogelreiter in einer Geschwindigkeit vorwärts, wie kein gewöhnliches Pferd sie hätte erreichen können. Er schwebte geradezu über die Ebene, denn die Hufe schienen nie wirklich den Boden zu berühren.
Was hat er mit mir vor?, ging es Neldo durch den Kopf. Namenlose Furcht kroch in ihm empor. Er dachte kurz an Sona, Forry und die anderen Halblinge, mit denen zusammen er durch die Wälder gezogen war, in der Hoffnung, den Schergen Ghools zu entkommen. Es war grauenvoll, was mit ihnen geschehen war. Aber inzwischen fragte Neldo sich, ob er sich nicht wünschen sollte, dass auch er von den Orks getötet worden wäre. Welche Teufelei hat man nur mit mir vorgesehen?, ging es ihm durch den Kopf.
Seine Erinnerungen gingen zurück zu der Schlacht auf der Anhöhe der drei Länder. Der zuvor im Kampf gegen Ghools Heer gefallene Herzog von Rasal war als untoter Wiedergänger dem Heer der Verbündeten entgegengeschickt worden. Und nun dachte Neldo daran, dass für ihn vielleicht ein ähnliches Schicksal vorgesehen war– als willenlose Marionette des Bösen.
Neldo sah etwas über den Horizont kriechen, das aus der Ferne einer gewaltigen, unglaublich langsamen Schlange glich. Als der Vogelreiter sich näherte, war zu erkennen, dass es sich um einen Heerzug von beispiellosen Ausmaßen handelte. Selbst jene Massen von Orks, Dämonenkriegern und anderen in Ghools Diensten stehenden Geschöpfen, die Neldo in der Schlacht an der Anhöhe der Drei Länder erlebt hatte, stellte dieser Zug noch einmal in den Schatten. Auffallend war, dass diesmal neben zu Fuß gehenden Orks und jenen, die zu zweit oder zu dritt auf dem Rücken von Hornechsen saßen, sich offenbar auch Skorpionreiterstämme am Feldzug beteiligten. Die riesenhaften Tiere, die vor allem in dem zum West-Orkreich gehörenden Gebiet zwischen dem Blutfluss und dem Gebirge mit dem Namen Riesenpranke beheimatet waren, trugen normalerweise ganze Dörfer mit Behausungen, die aus getrocknetem Skorpiondung errichtet waren.
Lirandil hatte unter den Skorpionreitern gelebt, und Neldo erinnerte sich dunkel an dessen Schilderungen. Allerdings trugen diese Riesenskorpione teilweise keine Dörfer auf ihren Rücken, sondern waren stattdessen mit Katapulten
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