Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Morgens lesen sie gemeinsam eine Stunde in der Bibel. Sie ist die einzige Fürsprecherin Lady Elisabeths, und sie unterhält einen rührenden Briefwechsel mit ihrer ehemaligen Stieftochter; überdies ist ihr versprochen worden, die Rolle des Vormunds und der Tante spielen zu dürfen. Sie besucht regelmäßig Prinz Eduard in seiner Kinderstube, und sein kleines Gesicht leuchtet bei ihrem Anblick auf. Kurz gesagt, Anna von Kleve verhält sich in jeder Hinsicht, wie man es von einer schönen und hoch angesehenen Königsschwester erwarten darf, und jeder muss zugeben, dass sie sich für die Rolle sehr gut eignet. Tatsächlich sagen die meisten, dass sie eigentlich die bessere Königin abgäbe - aber es ist nutzlos, sich deswegen zu grämen. Jedenfalls sind wir jetzt sehr froh, dass unsere Aussagen sie nicht aufs Schafott brachten. Allerdings muss man bedenken, dass jeder, der sie jetzt in den höchsten Tönen lobt, sie damals ebenso eifrig verleumdet hätte, wäre er nur gefragt worden ..., so wie ich gefragt wurde.
Der Herzog bestellt mich am Neujahrsabend in seine Gemächer, als wollten wir auf unsere Erfolge in der Vergangenheit anstoßen und neue Pläne entwerfen. Zuerst spricht er über Königin Anna und wie gut sie sich am Hof mache. Dann fragt er, wie sich meine Nichte Catherine Carey, Marys Tochter, als Ehrenjungfer mache.
»Sie tut ihre Pflicht«, sage ich knapp. »Ihre Mutter hat sie gut erzogen, ich habe kaum Probleme mit ihr.«
Er erlaubt sich ein breites Grinsen. »Und Mary Boleyn und Ihr seid nie die besten Freundinnen gewesen.«
»Wir kennen einander ganz gut.« Mehr möchte ich über meine eigennützige Schwägerin nicht sagen.
»Natürlich hat sie das Erbe der Boleyns bekommen«, sagt er, als müsse er mich daran erinnern - als könnte ich das jemals vergessen. »Wir konnten nicht alles retten.«
Ich nicke. Mein Herrenhaus Rochford Hall fiel nach Georges Tod an seine Eltern, die es wiederum Mary vererbten. Sie hätten es mir hinterlassen sollen, er hätte es mir hinterlassen sollen, aber ich ging leer aus. Ich stellte mich der Gefahr und nahm die Aussage vor Gericht auf mich und erntete zum Lohn nur meinen Titel und eine kleine Rente.
»Und die kleine Catherine Carey? Könnte auch sie eines Tages Königin werden?«, fragt er, nur um mich zu necken. »Sollen wir sie unterweisen, wie sie Prinz Eduard gefallen könnte? Glaubt Ihr, wir können sie einem König ins Bett legen?«
»Ich denke, Ihr würdet bald merken, dass ihre Mutter dies bereits verboten hat«, sage ich kühl. »Sie wird für ihre Tochter eine gute Partie und ein ruhiges Leben haben wollen. Sie hat genug von Königshöfen.«
Er lacht und belässt es dabei. »Was ist nun mit unserem derzeitigen Schlüssel zur Macht, mit unserer kleinen Königin Katherine?«
»Sie ist ganz zufrieden.«
»Es ist mir gleich, wie es ihr geht. Zeigt sie irgendwelche Anzeichen, dass sie guter Hoffnung ist?«
»Nein, keine«, erwidere ich.
»Wie konnte sie sich denn vorher irren, im ersten Monat der Ehe? Sie hat uns allen falsche Hoffnungen gemacht.«
»Sie kann kaum zählen«, erkläre ich gereizt. »Und sie hat keine Vorstellung davon, wie wichtig es ist. Ich achte nun auf ihre Regel, es wird keinen Irrtum mehr geben.«
Er zieht eine Augenbraue hoch. »Ist der König überhaupt noch imstande?«, fragt er sehr leise.
Ich muss nicht einmal zur Tür schauen; ich weiß, dass wir hier sicher sind, sonst würden wir dieses äußerst gefährliche Thema nicht berühren. »Er schafft es schließlich, obwohl er lange dazu braucht, und es erschöpft ihn über die Maßen.«
»Dann ist sie also fruchtbar?«, will er wissen.
»Sie hat regelmäßige Blutungen. Und sie scheint gesund und kräftig zu sein.«
»Wenn sie nicht empfängt, wird er den Grund wissen wollen«, warnt mich der Herzog, als gäbe es irgendetwas, das ich gegen die Launen eines Königs unternehmen könnte. »Wenn sie nicht bis spätestens Ostern in anderen Umständen ist, wird er fragen, warum.«
Ich zucke die Achseln. »Manchmal brauchen diese Dinge Zeit.«
»Die letzte Frau, die zu lange brauchte, endete auf dem Schafott«, sagt er beißend.
»Es ist nicht nötig, dass Ihr mich daran erinnert.« Trotz regt sich in mir. »Ich erinnere mich nur zu gut daran, was sie tat und was sie versuchte und welchen Preis sie dafür zahlte. Und an den Preis, den wir dafür zahlten. An den Preis, den ich dafür zahlte.«
Mein Ausbruch erschreckt ihn. Ich bin selber erschrocken. Ich hatte mir
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