Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Königin Anna wieder an ihrem früheren Platz zu sehen. Entsetzt, aber fasziniert sahen sie die Herzogin mit Königin Katherine tanzen oder Arm in Arm mit ihr spazieren gehen. Gemeinsam ritten sie zur Jagd und speisten frohgemut mit ihrem einstigen und jetzigen Ehemann. Der König lächelte ihnen wohlwollend zu, wie zwei Lieblingstöchtern; er war ihnen gegenüber zärtlich gestimmt, und seine Befriedigung über diese glückliche Lösung war deutlich zu erkennen. Herzogin Anna hatte ihren Besuch geschickt vorbereitet. Sie hatte prächtige Geschenke für das königliche Paar mitgebracht: zwei wunderschöne Pferde von gleicher Fellfarbe, ganz in purpurroten Samt gehüllt - ein wahrhaft königliches Geschenk!
Wie sich nun herausstellt, verfügt Lady Anna zudem über ausgezeichnete Manieren: königliche Manieren. Trotz der Strapaze, als frühere Ehefrau am Hofe der neuen Ehefrau und während der Weihnachtszeit bestehen zu müssen, ist Anna von Kleve ein Exempel für Takt und Eleganz. Keine andere Frau auf der Welt hätte ihre Rolle mit mehr Taktgefühl spielen können. Und noch beachtlicher ist, dass sie als einzige Frau in der Geschichte so etwas getan hat. Andere Frauen mögen in der Vergangenheit still verschwunden oder mit Gewalt entfernt worden sein - die erste Königin dieses Hofes zum Beispiel -, doch niemand ist mit so viel Anmut und Würde zurückgetreten, als handele es sich um einen vorbestimmten Tanzschritt.
Mehr als einer der Höflinge ist der Ansicht, dass der König, wäre er nicht so vernarrt in ein frühreifes Kind, es bereuen müsste, dass er diese nachdenkliche, anmutige Frau durch ein albernes Mädchen ersetzt hat. Und mehr als einer prophezeit, dass sie noch vor Ende des Jahres eine gute Partie machen werde: Denn wer könne einer Frau widerstehen, die den Sturz von der hohen Position der Königin durchgemacht habe und dennoch stille Größe zeige?
Ich gehöre nicht zu jenen Propheten, denn ich denke voraus. Sie hat eine Vereinbarung unterzeichnet, die besagt, dass sie bereits durch einen Kontrakt mit einem anderen gebunden war. Ihre Ehe mit dem König war nicht gültig, und ebenso wird jede andere künftige Ehe ungültig sein. Er hat sie zu einem Dasein als alte Jungfer verdammt, solange der Herzog von Lothringen lebt. Der König hat Lady Anna zum Jungfernstand und zu einem Dasein in Unfruchtbarkeit verdammt - wobei ich bezweifele, dass er daran überhaupt gedacht hat. Sie jedoch ist klug, sie wird ihre Möglichkeiten erwogen haben und muss zu dem Schluss gekommen sein, dass es ein Handel zu ihrem Vorteil ist. Wenn ich mit meiner Vermutung recht habe, dann ist sie sehr stark, eine überaus starke Frau. Sie ist liebenswürdig und anmutig, zählt erst fünfundzwanzig Jahre, sie besitzt ein großes persönliches Vermögen, genießt einen untadeligen Ruf, ist mitten im fruchtbarsten Alter und hat dennoch beschlossen, nie wieder zu heiraten. Was für eine eigenartige Königin haben wir doch an dieser Herzogin von Kleve gehabt!
Sie sieht jetzt sehr gut aus. Nun erkennen wir, dass ihr starres Gesicht und ihre blassen Wangen nur durch Angst bedingt gewesen waren: Weil sie bereits die vierte Ehefrau eines unberechenbaren Herrschers war. Nun, da die fünfte Frau ihren Platz eingenommen hat, sehen wir eine blühende junge Frau, befreit von der Belastung ihrer Ehe. Sie hat die Zeit ihres Exils gut genutzt. Unsere Sprache beherrscht sie nun viel besser, und weil sie nicht länger nach Worten sucht, klingt ihre Stimme lieblich und klar. Sie ist fröhlicher, da sie nun in der Lage ist, eine witzige Bemerkung zu verstehen, und sie nimmt nicht mehr alles so ernst. Sie hat Kartenspielen und Tanzen gelernt. Sie hat ihre klevisch-lutheranische Strenge in Benehmen und Erscheinung abgelegt. Ihre Kleider sind nicht wiederzuerkennen! Wenn ich daran denke, wie sie an diesen Hof kam, gekleidet wie ein deutsches Bauernmädchen mit Lagen und Lagen von schwerem Stoff und mit einer Haube, die ihren Kopf erdrückte - und wenn ich dagegen diese modische Schönheit sehe, dann erkenne ich eine Frau, die sich die Freiheit genommen hat, sich selbst neu zu erschaffen.
Sie reitet mit dem König aus und redet mit ihm ernst und verständig über die europäischen Herrscherhöfe und was die Zukunft für England bereithalten möge. Sie kichert mit Katherine wie ein albernes Mädel. Sie spielt Karten mit den Höflingen und tanzt mit der Königin. Sie ist die Einzige bei Hofe, die mit Prinzessin Maria eine Freundschaft pflegt, und des
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