Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
rotem Leder und ruft die Hunde herbei. Der Herzog reitet heute nicht mit, er steht nur im Tor und sieht dem munteren Treiben zu. Bevor ich zu meinem Pferd gehe, bleibe ich einen Augenblick neben ihm stehen.
»Es ist geschehen«, sage ich leise. »Letzte Nacht.«
Er nickt beiläufig, als hätte ich ihn über die Rechnung des Hufschmieds unterrichtet. »Culpepper?«, fragt er.
»Ja.«
»Wird sie ihn wieder wollen?«
»Sooft wie möglich. Sie ist völlig vernarrt.«
»Passt auf, dass sie den Mund hält«, sagt er. »Und teilt mir sofort mit, wenn sie guter Hoffnung ist.«
Ich nicke. »Und meine Angelegenheit?«, frage ich kühn.
»Eure Angelegenheit?«, wiederholt er und tut, als habe er es vergessen.
»Meine Heirat«, sage ich. »Ich ... Ich muss unbedingt heiraten.«
Er zieht eine Augenbraue hoch. »Besser verheiratet zu sein, als vor Verlangen zu verbrennen, oder meine liebe Lady Rochford? Aber die Ehe mit George hat Euren innerlichen Brand doch nicht gestillt?«
»Das war nicht meine Schuld«, sage ich rasch. »Es lag an ihr.«
Er lächelt, er muss gar nicht erst fragen, welcher Schatten auf meine Ehe fiel und das Feuer entzündete, das uns alle verschlang.
»Was gibt es Neues über meine Heirat?«, bedränge ich ihn.
»Ich stehe bereits im Briefwechsel«, berichtet er. »Sobald Ihr mir mitteilt, dass die Königin ein Kind erwartet, werde ich die Vereinbarung bestätigen.«
»Und der Edelmann?«, frage ich drängend. »Wer ist es?«
»Monsieur le Comte?«, fragt er zurück. »Wartet ruhig ab, meine liebe Lady Rochford. Aber glaubt mir: Er ist reich und er ist jung, gut aussehend und - lasst mich nachdenken - nicht mehr als drei oder vielleicht vier Schritte von Frankreichs Thron entfernt. Wird Euch das zufriedenstellen?«
»Absolut.« Ich kann vor Aufregung kaum sprechen. »Ich werde Euch nicht enttäuschen, Mylord.«
A NNA , R ICHMOND -P ALAST , J UNI 1541
Ich habe eine Anfrage des königlichen Oberhofmeisters erhalten, ob ich den Hof auf seiner sommerlichen Rundreise begleiten wolle. Der König will seine nördlichen Besitzungen besuchen, deren Lords vor Kurzem erst gegen ihn rebelliert haben. Er wird Belohnungen und Strafen austeilen, er hat seinen Henker vorgeschickt und wird nun gemütlich hinterherreisen. Lange sitze ich mit dem Brief in der Hand da und wäge meine Möglichkeiten ab.
Besser gesagt, die Risiken. Wenn der König Freude an meiner Gesellschaft findet, wenn ich hoch in seiner Gunst stehe, dann kann ich mir vielleicht noch ein weiteres Jahr Sicherheit erkaufen. Wenn jedoch die Männer mit den versteinerten Mienen, wenn seine Gefolgsleute erkennen, dass er mich wieder mag, werden sie alles aufbieten, um mich vom Hofe fernzuhalten. Katherines Onkel, dem Herzog von Norfolk, wird daran gelegen sein, dass der Stern seiner Nichte nicht sinkt, und er wird es nicht mögen, wenn zwischen ihr und mir Vergleiche gezogen werden. Er wird die Dokumente behalten haben, die »beweisen«, dass ich einer papistischen Verschwörung angehörte, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, den König zu stürzen. Vielleicht hat Norfolk auch noch schlimmere Anklagen erfunden: Ehebruch oder Zauberei, Häresie oder Hochverrat. Wer weiß, welche feierlich bekundeten Aussagen er aus seinen Zeugen herauskitzelte, als alle noch glaubten, er würde mich dem Tode überantworten? Sicher hat der Herzog diese Dokumente nicht fortgeworfen, als der König beschloss, sich von mir scheiden zu lassen. Nein, er wird sie so lange hüten, bis er sie eines schönen Tages benutzen kann, um mich zu vernichten.
Wenn ich mich jedoch weigere, die Rundreise mitzumachen, dann kann ich auch nicht für mich selbst eintreten, sollte es nötig werden. Wenn etwas gegen mich gesagt wird, wenn man mich mit den Verschwörern aus dem Norden in Verbindung bringt oder mit der armen Gräfin Margaret Pole, mit dem entehrten Thomas Cromwell oder mit irgendeiner Aussage meines Bruders, dann wird niemand bei Hofe sein, der zu meinen Gunsten spricht.
Ich stecke den Brief in die Tasche meines Kleides und gehe zum Fenster, um die weißen Apfelblüten in meinem Obstgarten zu betrachten. Mir gefällt es hier, ich mag es, mein eigener Herr zu sein, ich mag es, mein Geschick selbst zu bestimmen. Die Vorstellung, in die Löwengrube des englischen Hofes zurückzukehren und mich dem entsetzlichen alten Ungeheuer zu stellen, übersteigt meinen Mut. Ich denke, dass ich hoffentlich das Richtige tue, wenn ich die Sommerreise nicht mitmache. Ich werde
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