Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Gesicht ist hochrot. Er streicht sein Samtwams glatt, als müsse er sich beruhigen. »Vergebt mir, Lady Anna«, sagt er. »Im Haus steht alles Kopf, weil für die Reise gepackt werden muss. Ich hole Euch in einer Stunde ab.«
Lotte flüstert mir die Übersetzung zu, und ich neige den Kopf und lächele. Er wirft einen argwöhnischen Blick zur Tür. »Hat sie uns gehört?«, fragt er Lotte ungeniert. Sie vergewissert sich, dass ich nicke. Nun tritt er näher.
»Lordkanzler Thomas Cromwell gehört Eurem Bekenntnis an«, sagt er leise, während Lotte übersetzt. »Er hat den Fehler gemacht, in dieser Stadt, die unter meinem Befehl steht, einige hundert Lutheraner zu schützen.«
Seine Worte verstehe ich natürlich, nicht aber ihre Bedeutung.
»Es sind Ketzer«, erklärt er unverblümt. »Sie leugnen die Autorität des Königs als geistiges Oberhaupt der Kirche, und sie leugnen das Heilige Sakrament Jesu Christi, die Wandlung des Weines zu Blut. Diesen Glauben der Kirche von England zu leugnen, ist eine Häresie, die mit dem Tode bestraft wird.«
Ich lege Lotte eine Hand auf den Arm. Ich weiß, dass dies äußerst gefährliche Dinge sind, aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
»Sogar Lordkanzler Cromwell selbst könnte der Ketzerei bezichtigt werden, wenn der König erführe, dass er diese Menschen beherbergt hat«, sagt Lord Lisle mahnend. »Ich habe eben seinem Sohn Gregory gesagt, dass diese Männer angeklagt werden sollten, unter wessen Protektion sie auch stehen. Ich habe ihn gewarnt, dass ich nicht auf einem Auge blind sein kann. Ich habe ihm gesagt, dass jeder aufrechte Engländer wie ich denkt: dass Gott sich nicht verspotten lässt.«
»Ich weiß nichts über diese englischen Angelegenheiten«, sage ich vorsichtig. »Ich werde in Glaubensdingen nur meinem Ehemann gehorchen.« Kurz denke ich an meinen Bruder, der mir aufgetragen hat, meinen Ehemann von diesem papistischen Aberglauben zur Klarheit der reformierten Kirche zu führen. Ich glaube, ich werde ihn wieder einmal enttäuschen.
Lord Lisle nickt, verbeugt sich und tritt einen Schritt zurück. »Vergebt mir«, sagt er. »Ich hätte Euch mit so etwas nicht belästigen sollen. Ich wollte nur deutlich machen, dass ich Thomas Cromwell übel nehme, wie er diese Leute beschützt, und dass ich dem König und seiner Kirche treu ergeben bin.«
Ich nicke stumm - was soll ich sonst tun? Und er verlässt das Zimmer. Ich wende mich Lotte zu.
»Das stimmt nicht so ganz«, sagt sie leise. »Zwar hat er Master Cromwell des Schutzes der Lutheraner bezichtigt, aber dessen Sohn, Gregory Cromwell, hat ihn wiederum beschuldigt, ein verkappter Papist zu sein, und ihm gedroht, dass er beobachtet würde. Sie haben sich gegenseitig gedroht.«
»Was erwartet er dann von mir?«, frage ich verständnislos. »Er kann doch kaum annehmen, dass ich mir in solch einer ernsten Angelegenheit ein Urteil anmaße?«
Lotte sieht mich besorgt an. »Vielleicht erwartet er, dass Ihr mit dem König sprecht? Um ihn in seinem Sinne zu beeinflussen?«
»Lord Lisle hat ja fast ausdrücklich gesagt, dass ich in seinen Augen auch eine Ketzerin bin. Auch ich leugne die Wandlung des Weines in Blut. Jeder, der ein wenig gesunden Menschenverstand besitzt, weiß, dass so ein Wunder unmöglich ist.«
»Werden Ketzer in England wirklich hingerichtet?«, fragt Lotte nervös.
Ich nicke.
»Auf welche Weise?«
»Sie werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
Sie sieht mich entsetzt an, und ich will eben zu einer Erklärung ansetzen, dass der König meinen Glauben kennt und vermutlich mit meinem protestantischen Bruder und seinen verbündeten protestantischen Fürsten eine Allianz eingehen wird - aber in diesem Moment ruft jemand vor der Tür, dass die Schiffe abfahrbereit sind.
»Komm«, sage ich, plötzlich von Draufgängertum beseelt. »Lass uns reisen, welche Gefahren auch drohen. Nichts kann schlimmer sein als Kleve.«
Von einem englischen Hafen aus auf einem englischen Schiff in See zu stechen, ist wie der Beginn eines neuen Lebens. Die meisten meiner Reisebegleiter aus Kleve müssen mich nun verlassen, und das Abschiednehmen dauert seine Zeit. Dann gehe ich an Bord, und wir legen ab. Ruderboote ziehen die Schiffe aus dem Hafen, dann werden die Segel gesetzt, in die sogleich der Wind fährt. Die Masten knarren, und das Schiff richtet sich auf, als wolle es losstürmen. In diesem Moment fühle ich mich wahrlich wie eine Königin, die in ihr Land reist, wie die Königin in einem
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