Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Märchen.
Ich gehe zum Bug und schaue zu, wie das Schiff das unruhige Wasser durchpflügt, starre auf die Schaumkronen der weißen Wellen auf der dunklen See, und ich frage mich, wann ich endlich meine neue Heimat erblicken werde, mein Königreich, mein England. Um mich herum sehe ich kleine Lichter auf den Begleitschiffen. Es ist eine wahre Staatsflotte, fünfzig große Schiffe, die Flotte der Königin, und allmählich werden mir der Reichtum und die Macht meines neuen Landes bewusst.
Wir werden den ganzen Tag auf See sein. Sie sagen, dass das Meer ruhig ist, mir aber kommen die Wellen sehr hoch und gefährlich vor. Unsere Schiffe klettern eine Wasserwand empor und rutschen dann auf der anderen Seite in ein Wellental hinunter. Die Segel blähen sich im Wind und knirschen, als wollten sie jeden Moment reißen, und die englischen Matrosen zerren an Tauen und flitzen unter Flüchen auf dem Deck umher. Ich sehe den Morgen heraufdämmern, eine graue Sonne über einer grauen See, und ich fühle die unermessliche Weite des Wassers um mich und sogar unter mir. Da verlasse ich meinen Ausguck und begebe mich in meine Kabine, um ein wenig zu ruhen. Manche meiner Damen sind seekrank, mir aber geht es gut. Lady Lisle sitzt einige Zeit bei mir, dann andere Damen, unter ihnen auch Jane Boleyn. Ich muss noch die Namen der anderen Damen lernen. Langsam verstreicht der Tag, ich gehe wieder an Deck, sehe aber nur die anderen Schiffe - fast so weit ich blicken kann fahren die Segler der englischen Flotte und geben mir Geleit. Ich sollte stolz auf diese Ehre sein, aber im Grunde ist es mir unbehaglich, der Gegenstand von so viel Aufwand und Tatkraft zu sein. Sobald ich aus meiner Kabine auftauche, ziehen die Matrosen ihre Mützen und verbeugen sich, und zwei meiner Damen sind stets an meiner Seite, selbst wenn ich nur zum Bug des Schiffes gehe. Nach einer Weile kann ich es nicht mehr ertragen und zwinge mich, still in meiner Kabine zu sitzen und das Auf und Ab der Wellen durch das kleine Fenster zu beobachten, statt alle durch mein zielloses Umherwandern aufzuscheuchen.
Mein erster Eindruck von England ist der einer dunklen Masse auf einer dunkel werdenden See. Es ist schon spät, als wir in den Hafen einlaufen, doch trotz Dunkelheit und Regen werde ich von einer weiteren Menge vornehmer Leute empfangen. Sie bringen mich auf die Burg, wo ich mich ausruhen kann, dann geht es zum Dinner, und es sind Hunderte, wirklich Hunderte von Menschen, die zu mir kommen und mir die Hand küssen und mich in meinem neuen Lande willkommen heißen. In einem Nebel der Benommenheit lerne ich weitere Lords und Ladys kennen, einen Bischof, den Kastellan der Burg, noch mehr Hofdamen sowie einige Mägde. Es ist überdeutlich, dass ich nie wieder im Leben einen Moment für mich allein haben werde.
Sobald wir gegessen haben, wird die Reise fortgesetzt. Es gilt einen strikten Plan einzuhalten, wann wir wo einkehren und speisen - dennoch erkundigen sie sich höflich, ob ich zur Weiterreise bereit bin. Ich erkenne, dass dies in Wahrheit keine Frage nach meinen Wünschen ist, sondern dass der Plan die Fortsetzung der Reise bestimmt und dass meine Einwilligung dazu eine Formsache ist.
Und obwohl wir mittlerweile Abend haben und ich ein Vermögen dafür gäbe, hierbleiben zu dürfen und mich auszuruhen, klettere ich in meine Sänfte, die mir widerwillig von meinem geizigen Bruder bewilligt wurde. Die adligen Herren und Damen steigen auf ihre Pferde, und wir ziehen in der Dunkelheit weiter, von Soldaten eskortiert, als wären wir eine Invasionsarmee. Immer wieder sage ich mir, dass ich nun Königin bin, und wenn dies die einer Königin gemäße Art zu reisen und zu speisen ist, dann sollte ich mich lieber daran gewöhnen.
In völliger Dunkelheit treffen wir in Dover ein, wo wir die Nacht verbringen. Am nächsten Tag bin ich so müde, dass ich kaum aufstehen kann, aber ein halbes Dutzend Zofen wartet bereits mit meinem Unterkleid und meinem Kleid und meiner Haarbürste und meiner Haube. Hinter den Zofen stehen meine Ehrenjungfrauen und hinter diesen wiederum die Hofdamen. Und dann trifft eine Nachricht vom Herzog von Suffolk ein: Ob ich nach Canterbury weiterreisen möchte, sobald ich mein Morgengebet gesprochen und mein Frühstück eingenommen habe? Somit erfahre ich, dass er auf unsere Abreise drängt und dass ich mich mit Gebet und Frühstück beeilen soll, und deshalb antworte ich zustimmend und betone, dass ich selbst größten Wert auf Eile lege.
Das
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