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Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Titel: Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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ich Katherine, als wir in dem weitläufigen Hof absitzen, umgeben vom Lärm der Höflinge, der Möwen, die am Fluss schreien, und der Krähen, die auf den Türmchen krächzen. »Was ist passiert der Ratgeber, der dem König erzürnte?«
    »Das war Kardinal Wolsey«, erwidert sie leise. »Er wurde des Hochverrats gegen den König überführt und starb.«
    »Er auch gestorben?«, frage ich. Und ich ertappe mich dabei, dass ich nicht zu fragen wage, wer den Tod des Erbauers dieses Schlosses zu verantworten hatte.
    »Ja, er starb entehrt«, sagt sie kurz. »Der König hat sich plötzlich gegen ihn gewendet. Das tut er manchmal, müsst Ihr wissen.«

 
 
J ANE B OLEYN , H AMPTON C OURT , M ÄRZ 1540
 
    Ich habe wieder meine alten Zimmer in Hampton Court bekommen, und manchmal, wenn ich aus dem Garten in die Gemächer der Königin gehe, ist mir, als sei die Zeit stehen geblieben, als sei ich immer noch eine junge, hoffnungsvolle Braut, als säße meine Schwägerin in guter Hoffnung auf dem Thron Englands, als hätte mein Mann soeben den Titel Lord Rochford erhalten, als hätte mein ungeborener Neffe Aussicht, der nächste König von England zu werden.
    Manchmal, wenn ich an einem der breiten Fenster stehen bleibe und in den Garten bis zur Themse hinunterschaue, glaube ich sie zu sehen: Anne und George, die einen der kiesbestreuten Wege entlangspazieren, ihre Hand in seiner ruhend, die Köpfe zusammengesteckt. Damals beobachtete ich die beiden ständig. Seine leisen, zärtlichen Gesten, seine Hand auf ihrer Taille, ihr Kopf an seiner Schulter. Als sie in anderen Umständen war, klammerte sie sich an ihn, damit er sie tröste, und George war stets liebevoll besorgt um sie, um seine Schwester, die vielleicht Englands Thronfolger trug. Als hingegen ich schwanger war, in unseren letzten gemeinsamen Monaten, da nahm er nie zärtlich meine Hand oder bedauerte mich ob meiner Bürde. Nie legte er seine Hand auf meinen schwellenden Leib, um die Stöße des Babys zu ertasten, nie bot er mir seinen Arm oder seine Stütze. Es gibt so vieles, das wir nie zusammen taten und das ich nun vermisse. Und gerade, weil wir nicht glücklich waren, bedauere ich seinen Verlust umso mehr. Zwischen uns blieb so vieles halb gar und ungesagt - und nun werden wir es nie mehr zu Ende bringen können. Nach seinem Tod schickte ich seinen Sohn fort. Er wird von Freunden der Howards aufgezogen und wird wohl ein kirchliches Amt antreten, ich habe keinerlei Ehrgeiz mehr, was ihn anbetrifft. Ich habe das reiche Erbe der Boleyns, das ich um seinetwillen anhäufte, verloren, und sein Familienname kann mir kein Ansehen mehr verschaffen, nur noch Schmach und Schande. Als ich die beiden verlor, Anne und George, da verlor ich alles.
    Mein Gebieter, der Herzog von Norfolk, ist von seiner Reise nach Frankreich zurückgekehrt und verbringt nun Stunden in vertraulicher Besprechung mit dem König. Er steht hoch in Heinrichs Gunst; jeder kann erkennen, dass er aus Paris günstige Neuigkeiten mitgebracht hat. Unsere Familie ist wieder im Aufstieg begriffen, das erkenne ich am stolzen Gang unserer Männer, an Erzbischof Gardiners neu gewonnener Autorität, am plötzlichen Zurschaustellen von Rosenkränzen und Kruzifixen an der Kleidung. Und ich erkenne es daran, wie schlecht es um die Befürworter der Reform bestellt ist: Thomas Cromwell vermag kaum seine Wut zu verhehlen, und Erzbischof Cranmer ist sehr nachdenklich geworden. Wenn sie dringend um eine Unterredung mit dem König bitten, wird ihnen keine gewährt. Deute ich diese Zeichen richtig, dann ist unsere Partei, die Partei der Howards und der Papisten, wieder auf dem aufsteigenden Ast. Wir haben unseren Glauben, wir haben unsere Tradition, und wir haben nicht zuletzt das Mädchen, das dem König ins Auge gestochen ist. Thomas Cromwell hat die Kirche ausgeblutet, es gibt keine Reichtümer mehr, die er dem König anbieten könnte. Die neue Königin, seine Wahl, mag es zwar schaffen, unsere Sprache zu lernen, aber sie wird niemals anmutig und sinnlich sein. Wäre ich ein neutraler Höfling, so würde ich versuchen, die Freundschaft des Herzogs zu gewinnen und mich auf seine Seite zu schlagen.
    Nun ruft er mich in seine Gemächer. Ich gehe die vertrauten Korridore entlang, rieche ausgestreuten Lavendel und Rosmarin, durch die hohen Fenster fällt das Glitzern der Themse herein ... Es ist, als wandelten dort vor mir ihre Geister, als sei ihr Rock soeben um die Ecke geweht, als hörte ich das sorglose Lachen meines

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