Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Mannes. Würde ich nur ein wenig schneller gehen, dann könnte ich sie einholen - und so ist es jetzt, wie es immer war: Immer hatte ich das Gefühl, wenn ich nur ein wenig schneller ginge, würde ich sie einholen und die Geheimnisse erfahren, die sie miteinander teilten.
Ich gehe tatsächlich schneller, wider besseres Wissen, doch als ich um die Ecke biege, ist der getäfelte Korridor leer, nur die Diener in Howard-Livree stehen vor der Tür Wache, und von ihnen hat gewiss keiner einen Geist gesehen. Die beiden waren zu schnell für mich, wie immer, selbst im Tod sind sie noch zu schnell. Sie warteten nie auf mich, sie wollten mich nie dabeihaben. Die Wachen klopfen und stoßen die Türflügel für mich auf, und ich gehe hinein.
»Wie geht es der Königin?«, fragt der Herzog ohne Gruß. Er sitzt hinter seinem Tisch, und ich muss blitzschnell umdenken, dass wir ja eine neue Königin haben und nicht mehr unsere geliebte, hochmütige Anne.
»Sie ist frohen Mutes, und sie sieht gut aus«, erwidere ich. Aber sie wird nie so schön sein wie unsere Anne.
»Hat er sie inzwischen gehabt?«
Das ist äußerst derb, aber ich nehme an, dass er müde von der Reise ist und keine Zeit für Höflichkeiten hat.
»Das hat er nicht. Soweit ich das beurteilen kann, ist er immer noch unfähig.«
Es entsteht eine Pause, während derer er sich vom Stuhl erhebt, zum Fenster geht, hinausschaut. Ich muss daran denken, dass wir einst hier standen, als er mich über Anne und George befragte, als er aus dem Fenster schaute und die beiden über die Kieswege zum Fluss hinunterwandern sah. Ich überlege, ob auch er sie immer noch sieht. Damals fragte er mich, ob ich sie beneidete, ob ich bereit wäre, gegen sie auszusagen. Er sagte, ich könnte meinen Gemahl retten, wenn ich sie belastete. Er fragte mich, ob ich George mehr liebte als sie. Er fragte mich, ob ihr Tod mir etwas ausmachen würde.
Seine nächste Frage bricht in die Erinnerungen ein, die ich so gern vergessen würde. »Glaubt Ihr, er könnte ...«, er zögert kurz, »behext worden sein?«
Behext? Ich traue meinen Ohren kaum. Will der Herzog allen Ernstes andeuten, dass der König bei seiner Frau impotent ist, weil er verflucht oder behext worden ist? Sicher, das Gesetz dieses Landes besagt, dass nur Hexenzauber einen gesunden Mann impotent machen kann - doch wie jeder weiß, führen auch Krankheit oder Alter dazu ..., und der König ist zu korpulent, vor Schmerz fast gelähmt und krank an Körper und Seele. Behext? Das letzte Mal, als der König behauptete, das Opfer von Hexerei zu sein, beschuldigte er meine Schwägerin Anne, die daraufhin den Richtblock besteigen musste. Sie war der Hexerei schuldig, der Beweis war des Königs Impotenz bei ihr und ihre Wollust mit anderen Männern.
»Ihr könnt nicht ernsthaft glauben, dass die Königin ...« Ich breche ab. »Niemand könnte glauben, dass diese Königin ... wie eine andere Königin ...« Die Andeutung ist so gefährlich, dass ich sie nicht einmal in Worte fassen kann. »Das Land würde es nicht aushalten ... Niemand würde es glauben ... nicht schon wieder ...« Ich breche ab. »Er kann das nicht schon wieder tun ...«
»Ich denke gar nichts. Aber wenn er unfähig ist, dann muss es an Hexenzauber liegen. Und wer könnte ihn behexen, wenn nicht sie?«
Ich schweige. Wenn der Herzog Beweise gegen die Königin sammelt, dann ist ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert.
»Im Augenblick begehrt er die Königin nicht«, sage ich behutsam. »Aber ist das so schlimm? Sein Begehren kann sich doch noch einstellen. Schließlich ist er ja nicht mehr jung und auch nicht gesund.«
Der Herzog nickt. Ich versuche zu erraten, was er hören möchte. »Und er begehrt andere«, füge ich hinzu.
»Aha, das stützt ja die Anklage«, ändert er die Taktik. »Es könnte sein, dass er nur bei der Königin behext ist, sodass er in ihrem Bett kein Mann sein kann und England keinen Sohn und Erben schenkt.«
»Wenn Ihr das sagt«, stimme ich zu. Sinnlos zu widersprechen, dass er nicht mehr so viel Lust hat wie früher, weil er alt und oft krank ist - und nur eine kleine Schlampe wie Katherine Howard mit ihren Kniffen und ihrem Liebreiz kann ihn noch erregen.
»Also - wer würde ihn behexen?«, beharrt der Herzog auf seiner Frage.
Ich zucke die Achseln. Welchen Namen ich auch nenne, der Betreffende sollte schleunigst sein Testament machen, denn wer beschuldigt wird, den König verhext zu haben, ist so gut wie tot. Es wird keinen Beweis seiner
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