Das Erbe Der Nibelungen
nicht ebenbürtig gewesen zu sein. Er war wie ein Kind, dem ein Geschenk vorenthalten worden war und das nun wütend auf den Boden stampfte.
Glismoda nahm seine Hand. »Du bist ein guter Mann, und sie ist deinen Worten nach eine gute Frau. So etwas gehört zusammen.«
Dann küsste sie ihm sachte die Stirn. »Ich hoffe, der Himmel ehrt mich eines Tages auch noch einmal mit einer so herrlich schmerzhaften Liebe.«
Sigfinn sah Glismoda dankbar an. »Du sprichst weise zu einem dummen Jungen. Wenn es an mir ist, werde ich versuchen, auch in diesen Dingen ein Mann zu werden.«
Sie bot ihm das Lager, das er nach einem schier endlosen Tag gerne nahm. Er hatte den Kopf noch nicht richtig gebettet, da war der Schlaf bereits sein Herr. Doch sie legte sich nicht neben ihn. Stattdessen warf sie ein Tuch um die Schultern und machte sich auf den Weg.
Brynja brauchte nicht mehr viel Schlaf. Wo sie früher gerne Stunden zwischen den Laken gelegen hatte, trieb es sie heute oft die ganze Nacht umher. Sie spürte eine Kraft in sich, die in der Tat Belohnung suchte. Darum war sie auch hellwach, als es in den frühen Morgenstunden an ihre Türe klopfte. Einen freudigen Moment glaubte sie, es
sei Sigfinn, aber es war eine ärmlich gekleidete Bürgerin der Stadt.
»Man nennt mich Glismoda«, sagte sie. »Ich möchte Euch um eine Unterredung bitten.«
Brynja bat sie herein. Es war ihre Angewohnheit, Menschen nicht ihres Standes wegen abzuweisen. »Was führt dich her, Glismoda?«
»Sigfinn«, antwortete die Frau, und in Brynjas Herz tat es einen Stich. »Er ist bei mir.«
Die Fürstin versuchte, sich zu sammeln. Es fehlte ihr an allem, um die Worte dieser Fremden einzuordnen. »Wie lange schon?«
»Seit er nach Worms kam. Monate.«
Aus der Überraschung wurde flammende Wut. Wie konnte Sigfinn ihr das treue Kind neiden, wo er selbst sich ein Liebchen genommen hatte? War sein Recht auf Gesellschaft mehr wert als ihres?
»Es steht mir nicht zu, das zu tadeln«, sagte sie mit trockenem Mund.
»In keiner Nacht hat er bei mir gelegen«, fügte Glismoda nun hinzu. »Ich habe es ihm angeboten - erst aus Not, dann aus Angst, schließlich aus echter Zuneigung. Doch sein Herz war nicht frei, und Sigfinn ist nicht der Mann, der sich Lust ohne echte Liebe sucht.«
Der Krampf, der Brynjas Magen den ganzen Abend gehalten hatte, löste sich endlich, und sie lächelte dankbar. »Dann hat er mich nicht vergessen?«
»Er hätte den einzigen Gedanken vergessen müssen, der ihn antrieb«, bestätigte die Frau. »Nie habe ich einen Mann kennengelernt, der so wenig in diese Welt gehört - und so sehr zu einer einzigen Frau.«
Brynja nahm das schlafende Kind aus seiner Wiege und
drückte es an sich. Zum ersten Mal seit Monaten gestattete sie sich eine Träne in Gegenwart anderer. »Er war immer bei mir. Ohne ihn hätte ich keinen Schritt tun können.«
»Dann folgt Euren Herzen, und lasst Euch nicht von der törichten Vergangenheit davon abhalten«, schlug Glismoda vor. Sie sah Fynna mit einer großen Sehnsucht an, die nur eine Mutter verstehen konnte.
»Möchtest du sie halten?«
Die Wormserin nahm das Kind an die Brust, und es schien ihm dort zu gefallen. »Ich hatte einst drei. Keines ist mir geblieben.«
»Ich maße mir nicht an zu wissen, wie das Reich unter Hurgan gelitten hat«, sagte Brynja.
Glismoda sah sie mit festem Blick an. »Kein König hat dem Volk je gedient, wie das Volk seinen Königen gedient hat.«
Die Fürstin nickte. »Und darum sind wir gekommen, eure Freiheit zu verteidigen, nicht, um sie euch zu nehmen.«
»Reicht mir die Hand darauf - von Frau zu Frau. Das soll mir als Versprechen genügen.«
So gaben sich Glismoda und Brynja die Hände, über Zeiten und Stände hinweg.
»Ob ich Worms retten kann, vermag ich allerdings nicht zu sagen«, gestand Brynja. »Ein Heer wartet vor den Toren der Stadt, und ich habe kaum Soldaten, sie aufzuhalten.«
Glismoda wiegte das Baby in ihrem Arm. »Über achtzig Jahre lang nahm uns Hurgan die Männer, sobald sie Kinder gezeugt hatten, manchmal noch davor. Er verwandelte sie in Horden-Krieger, und diese sind nun tot. An allen Ecken von Worms brennen die Feuer, die ihre Leichen verzehren, weil niemand sie in geweihter Erde begraben mag.«
»Es tut mir so leid«, flüsterte Brynja.
Glismoda hob die Hand. »Ich erzähle nicht davon, um Euer Mitleid zu erregen. Fast ein Jahrhundert lang mussten die Frauen, die Alten, die Siechen die Stadt am Leben halten. Wir haben gelernt, was
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