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Das Erbe Der Nibelungen

Titel: Das Erbe Der Nibelungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein , Torsten Dewi
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hatte sich beruhigt. Der Prinz entspannte sich - und spürte schlagartig die Schmerzen von den vielen Verletzungen, die er in den letzten Stunden erlitten hatte. Sein rechtes Bein knickte ein, und Boran musste ihn stützen. »Können wir nun endlich wieder in die Heimat segeln, Prinz Sigfinn?«
    Der Thronfolger Islands nickte.
    Heimat. Heim.
     
    Der kleine Raum der Burg, in dem sich die Kapelle befand, war früher eine Speisekammer gewesen. Christers Vater hatte ihn einrichten lassen, als seine Frau zu krank gewesen war, um die geweihte Kirche in Görand aufzusuchen. In christlicher Bescheidenheit war die Kapelle spartanisch eingerichtet, mit einer Holzplatte auf dem Vulkanboden, auf der in stillem Gebet zu knien war. Zwei Kerzen erleuchteten den Raum nur spärlich, aber durch sie warf ein kaum stuhlhohes Kreuz einen riesigen, Ehrfurcht gebietenden Schatten an die Wand.
    Es war der Ort, an dem die Königsfamilie Islands zum dreifaltigen und einzig wahren Gott betete, seit sie den alten Göttern abgeschworen hatte. Und es war der Ort, den Kari mied, wenn niemand sie beobachtete. Dann, wie gerade jetzt, eilte sie an der schweren Eichentür vorbei, eine steinerne Treppe hinunter und durch einen der ältesten Gänge der Burg weit in den Vulkan hinein, wo die Wände sich schon warm anfühlten. Hier fand sie eine Tür, deren Schloss von alter Kunst erzählte und zu dem nur sie den Schlüssel besaß. Dahinter das, was Karis Amme immer »das andere Betzimmer« genannt hatte. Wo sie als Kind die Geschichten gehört hatte von Odin und Asgard, den Walküren und Nibelungen, den Kriegen und Toten in ihrem
Namen. Vielleicht weil Kari ein Kind von altem Blut war, hatte sich das Christentum in ihrem Herzen nie verankert.
    Der Raum für die alten Götter war rund aus dem Fels gehauen, die Wände mit goldenen Fackelhaltern verziert, der Boden mit feinem Sand bestreut. In seiner Mitte zischte eine Quelle heiß und bitter, ein natürliches Bad mit schwefligem Geruch. Kari ließ das Gewand von den Schultern gleiten, legte das Kopftuch ab und stieg nackt in das dampfende Wasser. Es schmerzte, biss an den Knöcheln, fraß sich die Schenkel hinauf, aber sie war es gewöhnt. Bis zu den Schultern tauchte sie ein, so dass ihre Haarspitzen nass wurden. Im Gestein um die Quelle herum konnte sie nun die alten Runen erkennen, die eine Brücke zwischen den Welten bauten.
    Nur kurz schloss Königin Kari die Augen, dann hörte sie das leise Schleifen, mit dem die Seherin aus den Schatten trat. »Meine Königin.«
    Es war nicht klar, ob die Ansprache bedeutete, dass die Seherin sich der Königin verpflichtet fühlte oder sie als ihr Eigentum betrachtete. Kari hatte die Angst vor der dürren Gestalt lange verloren. Mochte ihr Auftritt in der schwarzen Robe, mit den schwarzen Haaren, dem rußgeschwärzten Gesicht und den toten Augen auch düster sein, so waren ihre Prophezeiungen doch oft genug von unschätzbarem Wert gewesen.
    Kari sah die Seherin an, und sie erschauerte trotz des heißen Wassers, in dem sie saß, ein wenig. »Ich wünsche einen Blick in das Reich der alten Götter.«
    Die Seherin trat vor die Quelle, streckte die magere Hand aus und legte sie Kari auf die Stirn. »Was du wissen sollst, das weißt du.«
    »Ich weiß zu wenig.«

    »Es gibt nichts zu wissen, was du noch wissen willst.«
    Kari wurde unruhig, schluckte zweimal, bevor sie weitersprach. »Was steht uns bevor? Was ist der Weg?«
    Die Seherin lachte, rau und stockend, ihr fauliger Atem tränkte die Luft. »Die Götter denken nicht über das nach, was sein wird. Schon lange nicht mehr. Sie starren aus glühenden Augen auf das, was war, zupfen eitel und griesgrämig am Stoff, aus dem die Welt gewirkt ist.«
    Obwohl es in der Quelle fast unsagbar heiß war, lief kalter Schweiß den Rücken der Königin hinunter. Sie hatte die Seherin noch nie so reden gehört.
    So düster. So ungewiss. So … endgültig.
     
    Brynja war froh, dass der Sturm nachgelassen hatte. Sie fühlte sich auf See nicht wohl, war eine Tochter von Wald und Bergen. Es war ihr sehr recht, dass ihr Vater ein schnelles Schiff zur Verfügung gestellt hatte, um sie in möglichst kurzer Zeit vom Kontinent nach Island zu bringen. König Edelried war wohler dabei, seine Tochter sicher am Hofe von Island zu wissen. Dort herrschte ein fast hundertjähriger Frieden, der dem Rest der Welt auch gutgetan hätte. Doch mit der Vertreibung der Römer, dem Zerfall ihres Imperiums und dem Vormarsch wilder Völker aus dem Norden

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