Das Erbe Der Nibelungen
niemand fragte mehr danach. Hagen, Hurgan, Elea, Elsa, Burgund, Burant. Einerlei. Was zählt, war meine Tat - und meine Tat ehrt mich.«
»Du hast deinen König verraten und dein Volk«, stieß Sigfinn wütend hervor.
Hurgan, der nun wieder Hagen war, hob abwehrend die Hand. »Mein Schwur galt immer nur dem Reich. Burgund ist heute, was es sonst nie hätte sein können - die größte Macht des Kontinents. Ich habe geschaffen, woran Gundomar und die anderen Narren gescheitert sind!«
»Über ihre Leichen«, sagte Sigfinn. »Und über die heilige Unantastbarkeit der Zeit. Und sei es nur für den Tod meines Vorfahren - heute Nacht wirst du sterben, Hagen von Tronje.«
Hagen lachte. Laut und aus kräftigen Lungen, die seine Jahre Lügen straften. Er legte die Hände mit den schwarzen Handschuhen auf seinen Bauch und lachte immer
weiter. Eine Träne kullerte aus dem linken Auge, und sie lief einsam seine Wange hinunter. Er keuchte, als er sich endlich wieder fing. »Und du … deswegen bist du gekommen? Um Siegfrieds Tod zu rächen?«
Sigfinn zögerte, und um sich selbst Mut zu machen, hob er das Schwert in seiner Hand leicht an. »Für Siegfried.«
Es war eine oft getätigte, in ihrer Leichtigkeit erstaunliche Bewegung, mit der Hurgan herumfuhr und die schwere Kette am Thron aus ihrem Haken drehte. Es rasselte, und ein Scharnier knirschte. Klauen zerrissen Leder, und der Käfig hinter dem Thron sprang krachend auf. Etwas rollte über den groben Steinboden, knurrend und angespannt.
Sigfinn stand Auge in Auge mit dem Tier.
Es war ein Mann.
Mächtige helle Filzsträhnen fielen über breite Schultern bis zu den Hüften, gingen nahtlos in Bart, Brusthaar und Scham über, so dass er wie in Fell gehüllt aussah. Geifer tropfte von zu Reißern gefeilten Zähnen, und harte Muskeln spannten sich unter alter Haut, die kaum einen Fleck ohne Narben kannte. Gelbe Fingernägel, vielfach gesplittert und blutig, glichen dicken Wolfskrallen.
Und die Augen.
Sie strahlten wie der Vollmond, hell und klar, doch um die Pupillen herum pumpten kleine Adern schwarzes Blut. Sie schienen sich unabhängig voneinander zu bewegen und zuckten unnatürlich. Kein steter Blick kam zustande, der von Verstand kündete, und was sich hinter ihnen abspielte, konnte nicht mehr als ewiger Wahnsinn sein.
Ein Tier, ein Wolf - dennoch ein Mann.
Sigfinn war wie gelähmt vor Entsetzen.
»Wenn du Siegfried rächen willst«, höhnte Hagen nun
mit sichtlicher Freude, »solltest du das vielleicht mit ihm selbst ausmachen!«
Der Arm mit Nothung wurde bleischwer in Sigfinns Hand. Er hatte keinen Grund, Hagen zu glauben - und wusste doch, dass dieser die Wahrheit sprach.
Das blutdurstige Menschentier, das zum Sprung auf ihn ansetzte, war Siegfried von Xanten selbst …
Brynja erwachte mit der Plötzlichkeit einer Mutter, die ihr Kind schreien hört. Doch Fynna war still, schlief ungestört in ihrer Wiege. Die Fürstin fühlte ihre Hälfte des Drachenamuletts an ihrer Brust, warm und unruhig.
Etwas geschah. In diesem Moment. Sie spürte es mit einer Klarheit, die ihr seit Monaten verwehrt worden war.
In Windeseile hatte die Fürstin ihr Kleid angezogen, das Haar mit Spangen zurückgesteckt und ihre Wachen verständigt. Als die Trompeten den Hofstaat zur frühen Pflicht riefen, auch in dieser tiefen Nacht, saß sie bereits an dem großen Tisch, von dem aus sie am Tag die Provinz Wenden regierte. Waffenmeister Maiwolf war wie immer als Erster an ihrer Seite, dann kam Rahel. Nach und nach trafen die Berater und Generäle ein, die Verwalter und Hofdamen.
Auf Brynjas Geheiß hin breitete Maiwolf eine riesige Karte des Kontinents aus, auf der Wenden nur ein lächerlicher Fleck war und Burant das alles dominierende Reich.
»Die Reise nach Burant, von der ich einigen schon erzählt hatte, wird vorgezogen«, sagte die Fürstin knapp. »Was passiert, passiert schneller als erwartet.«
Die Berater sahen einander an, auch Maiwolf und Rahel tauschten skeptische Blicke. Es war der Waffenmeister, der zu fragen sich traute. »Meine Fürstin, wir stehen an Eurer Seite. Doch warum diese nächtliche Zusammenkunft? Lassen
die Pläne sich am Morgen nicht mit klareren Gedanken schmieden?«
»Am Morgen werden wir schon auf dem Weg sein«, sagte Brynja unbeirrt, und nun ging ein Raunen durch den Saal. »Weckt die Soldaten, gebt die Waffen aus, und bereitet die Pferde.«
Rahel griff Brynja beim Arm - eine vertraute Geste, die niemand anderem gestattet war. »Bis in den
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