Das Erbe der Pilgerin
tut Ihr doch sonst auch jeden Tag.« Die Gräfin hatte ihren Hofkaplan aus Toulouse mitgebracht, der seitdem täglich zwei Messen für die katholischen Mitglieder des Haushaltes las. »Und ich kümmere mich um Geneviève. Ich muss mich nur kurz mit meinem Mann beraten – und mit dem Medikus.«
Salomons Vorschlag, Miriam zu Geneviève zu begleiten, hatte diese abgelehnt. Sie wollte zunächst selbst herausfinden, was geschehen war. Nun fand sie die junge Frau zusammengekrümmt im Bett, wie es die anderen Mädchen geschildert hatten, davor lag ein Samtbeutel, achtlos zu Boden geworfen. Miriam schnappte nach Luft, als sie die Goldmünzen sah, die herausquollen. Was der Bote da gebracht hatte, war ein kleines Vermögen.
»Geneviève, was ist passiert? Und was ist das für ein Beutel? Das Gold könnt Ihr doch nicht einfach so hier herumliegen lassen!«
»Ich will es nicht! Es ist Blutgeld, es ist Hurengeld, es ist …« Geneviève schluchzte erstickt, den Kopf zwischen den Kissen vergraben.
»Erst mal ist es Geld«, begütigte Miriam. »Und das sollte man nie leichtfertig ablehnen. Aber nun erzählt. Ist es Euers? Wer hat es Euch bringen lassen?«
»Es ist schmutzig, es ist verderbt, es ist … o Herrin, der Graf ist fort! Alles ist vorbei, sie werden uns überrennen, sie werden alle umbringen … ich … ich hab versagt.«
Miriam runzelte die Stirn. Wie hätte Geneviève die Flucht des Grafen verhindern können?
»Und ich bin sündig, ich bin verdammt … es war alles umsonst. Wie konnte … konnte er das tun?«
Die junge Frau wandte Miriam jetzt ihr tränenüberströmtes Gesicht zu und hielt ihr ein zerrissenes, zusammengeknülltes Pergament hin. Geneviève wehrte sich nicht, als Miriam es vorsichtig entgegennahm.
»Darf ich?«, fragte Miriam, bevor sie es entfaltete.
Geneviève nickte aufgebracht. »Lest nur, dann wisst Ihr … dann wisst Ihr, was ich getan habe … Ich bin verflucht … aber er ist auch verflucht! Kein Gott kann das verzeihen!«
Miriam konnte sich kaum beherrschen, die Augen zu verdrehen. Sonst hatte Geneviève immer gepredigt, mit dem Consolamentum sei alles verziehen. Aber dann las sie, und wilde Wut loderte in ihr auf.
Geliebte Geneviève,
ich muss gehen, aber ich werde diese Nacht niemals vergessen. Du bist die Antwort auf die Gebete eines jeden Mannes, ob er sie an seinen Gott oder die Venus richtet. Mein Versprechen werde ich natürlich halten. Dein göttlicher Körper soll niemals den Flammen anheimfallen! Nimm dieses Geld, es ist genug für Dich und Deine Familie, um zu fliehen. Es heißt, es gäbe Albigenser in Italien – ein schönes Land, Du wirst es lieben, so wie ich Dich immer lieben werde.
Dein Raymond
»Geneviève, das darf nicht wahr sein! Du … du warst seine Geliebte?«
Miriam konnte sich das nicht vorstellen. Sie hätte es doch bemerkt! Aber dann warf sie einen Blick in Genevièves verquollenes, tränenüberströmtes Gesicht und erriet augenblicklich die Wahrheit.
»O mein G … Bei Allah, Geneviève! Ihr habt es erfahren. Ihr habt erfahren, dass er fliehen wollte, und habt Euch ihm hingegeben. Aber wie konntet Ihr nur denken, dass er all seine Pläne für Euch über den Haufen wirft? Sein Leben für Euch riskiert, sein Land?«
Geneviève sah an Miriam vorbei. »Sollte es nicht so sein?«, fragte sie böse. »Predigen sie das nicht an all ihren Minnehöfen?«
Miriam rieb sich die Stirn. »Natürlich sollte das so sein. Aber Kind, der Mann hat die sechste Ehefrau! Und bei den Geliebten zählt er wahrscheinlich gar nicht mehr mit! Wieso sollte er nun gerade Euch mit Haut und Haar verfallen?«
»Er hat den Anschein erweckt«, flüsterte Geneviève.
Miriam seufzte. »Ja, ich bezweifle nicht, dass er sehr überzeugend war … War es wenigstens … hm … schön?«
»Es war abscheu …« Geneviève brach ab, um ihrem Sündenregister nicht auch noch eine Lüge hinzuzufügen. »Es war sündig und verderbt!«
Miriam schmunzelte. »Es hätte also schlimmer kommen können. Ihr seid auch nicht verletzt?«
Geneviève schüttelte den Kopf. »Es hat etwas geblutet, aber es heißt, das sei normal«, erklärte sie.
Miriam nickte.
»Aber was tue ich denn jetzt?«, fragte Geneviève verzweifelt. »Was … Wie … Wie kann ich das je büßen, ich …«
Miriam strich der jungen Frau besänftigend über das Haar. »Ihr zieht Euch jetzt ein anderes Hemd an und ein Kleid über, und dann sehen wir mal, ob das Badehaus beheizt ist. Wenn nicht, gehen wir in eins in der Stadt,
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