Das Erbe der Pilgerin
sah die Sache nicht gar so streng. »Er kann sich ja nicht zweiteilen«, begütigte er. »Und die Ritter wollen ihren Fehdemeister um sich haben, sonst leidet auch die Disziplin. Die meisten sind ganz schöne Kampfhähne, jemand muss aufpassen, dass sie es nicht übertreiben mit ihrem Privatkrieg.«
Tatsächlich zog sich die Belagerung Lauensteins jetzt schon über fast ein Jahr hin, aber bisher war es nicht zu größeren Kämpfen gekommen. Roland verschanzte sich auf seiner Burg – er hatte schließlich jahrelang Zeit gehabt, Lebensmittel zu horten, und Wasser gab es auch auf dem Burggelände. Lauenstein hatte zwei eigene Quellen. Natürlich langweilten sich seine Ritter – genau wie Dietmars Streitmacht. Es kam immer wieder zu Ausfällen – die Ritter boten sich hitzige Wortgefechte und fochten dann einen Kampf aus. Strategische Bedeutung hatten diese Streitigkeiten nicht, und es ging auch selten um Leben und Tod. Meist verlief es ähnlich wie im Turnier, nur dass mit scharfen Waffen gefochten wurde. Aber wenn der Gegner verletzt war oder besiegt am Boden lag, versetzte man ihm nicht den Todesstoß, sondern ließ ihn unter Spott und Schmähworten ziehen, ohne ihn zu verfolgen, nachdem man ihn seines Pferdes und seiner Rüstung beraubt hatte. Meist blieb es bei Zweikämpfen oder allenfalls Auseinandersetzungen zwischen kleinen Gruppen. Selbst da kämpfte man jedoch ritterlich. Feigheit galt als arger Verstoß gegen ritterliche Tugenden.
Dietmar duldete die Streitigkeiten und war sich damit einig mit Rüdiger und Florís. Die jungen Ritter brauchten den Kampf, freuten sich über die Beute, und nebenbei gewann die Heerführung Einblick in die Stärken von Rolands Rittern.
»Wie erwartet«, meinte Rüdiger, nachdem er wieder einmal ein Scharmützel beobachtet hatte. Diesmal war es etwas härter hergegangen, da der Streit zwischen den jüngeren Söhnen eines Wehrgutes in der Nähe und ein paar von Rolands Rittern ausgebrochen war, die dort wohl früher geplündert hatten. Zwei von Rolands Männern und einer von Dietmars waren ernstlich verwundet worden, und Dietmar hatte seinen Rittern streng befehlen müssen, die Besiegten schließlich ziehen zu lassen. Sie murrten darüber ein bisschen, trösteten sich aber mit den erbeuteten Rüstungen und Pferden. »Da drin verschanzt sich nicht die Blüte der Ritterschaft, aber tapfer sind sie, und sie kämpfen nicht schlecht.«
»Sie verlieren dauernd«, bemerkte Dietmar und nahm sich einen Becher Wein. Die Männer saßen gegen den Spätsommerregen geschützt in der eben fertig gestellten Trutzburg, eine robuste Anlage aus Blockhäusern und Schießständen. Gerlin bevorzugte zwar ihr Quartier in Neuenwalde, aber die Ritter fanden hier wetterfeste Unterkünfte. »So weit kann’s also nicht her sein mit ihrer Schlagkraft.«
»Sie verlieren ritterliche Zweikämpfe«, gab Rüdiger zurück. »Aber warte ab, bis sie aufhören, sich an die Regeln zu halten! Das trauen sie sich bisher noch nicht, weil Roland sie allenfalls in kleinen Gruppen rauslässt. Aber wenn es hier zu einer ernsthaften Schlacht käme, müssten wir mit hohen Verlusten rechnen.«
»Weshalb mir diese Scharmützel auch gar nicht mehr so gefallen«, meinte Florís. »Eine Zeitlang war das ganz akzeptabel, aber auf die Dauer wiegen sie unsere Leute zu sehr in Sicherheit. Die fallen aus allen Wolken, wenn Rolands Raufbolde Ernst machen.«
»Es wird Zeit für eine richtige Schlacht«, seufzte Dietmar. »Wenn wir sie da nur rauskriegten.«
Rüdiger nahm sich ebenfalls Wein. »Wie wär’s, wenn wir auf die altbewährten Mittel zurückgriffen?«
Er wies vielsagend auf die mächtige Blide, die im Hof der Trutzburg auf Lauenstein zielte. Es war schwer und langwierig, eine Burg auszuhungern – Roland hielt Lauenstein mit nur drei oder vier Dutzend Rittern, und seine Scheuern waren voll. Bis dort ernsthafte Not herrschte, konnte es Jahre dauern. Insofern griffen die Belagerer letztendlich fast immer auf Kriegsmaschinen oder noch perfidere Methoden zurück, die Verteidiger zum Ausfall zu zwingen. Mitunter heuerte man Bergleute an, die einen Stollen bis unter die Burgmauer trieben und mit einem Holzgerüst abstützten. Brannte man das dann ab, so stürzte die Mauer oft in den so entstandenen Hohlraum. Wurde die Burg gleichzeitig beschossen, war ein solches Vorgehen nahezu immer erfolgreich. Aber es führte natürlich zu Schäden, und es gefährdete auch die nicht kämpfende Bevölkerung der Burg.
Dietmar biss sich
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