Das Erbe der Pilgerin
bei Sinnen?«, blaffte Dietmar Rüdiger an, nachdem die anderen ihn in ihr Zelt gestoßen hatten. Rüdiger passte auf, dass er nicht gleich wieder herausrannte, während Hansi bereits begann, Sachen zusammenzupacken. »Willst du jetzt doch mit den Kerlen nach Toulouse ziehen?«
Rüdiger schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Das habe ich nur gesagt, um diesen Mathieu in Sicherheit zu wiegen. Damit er nicht heute noch zu Montfort rennt.«
»Zu Montfort?«, fragte Dietmar.
»Darauf würd ich meinen Arsch verwetten«, sagte Hansi. »Äh … Verzeihung, meine Ritterehre. Aber vorher hauen wir ab. Siehst du doch auch so, Rüdiger, oder?«
Rüdiger nickte. »So schnell es eben geht. Aber wir werden warten müssen, bis alle betrunken sind und schlafen. Das Zelt lassen wir stehen und das Packtier im Stall. Ist zwar schade drum, aber wenn alles gut geht, sind wir ja bald in einer Stadt. Und wir gehen auf keinen Fall ein Risiko ein. Wir umgehen Toulouse und versuchen es erst in Montalban.«
Dietmar runzelte die Stirn. »Und das nur, damit ich mich nicht mit diesem Mistkerl schlage? Da hab ich doch wirklich schon andere besiegt! Ihr braucht nicht auf mich aufzupassen!«
Rüdiger seufzte. »Ich glaub dir ja, dass du mit dem Großmaul fertig würdest«, sagte er. »Aber ich habe keine Lust, diesem Montfort morgen mein Leben zu verpfänden, indem ich das Kreuz nehme.«
Dietmar schüttelte den Kopf. »Aber dazu kann er uns nicht zwingen!«, meinte er.
»Na«, sagte Hansi. »Aber er kann’s uns dringend nahelegen …«
»Zum Beweis dafür, dass wir keine getarnten Ketzer sind, auf dem Weg nach Toulouse, um die Stadt zu verteidigen und ein Albigenser-Mädchen zu freien!«, zischte Rüdiger. »Herrgott, Dietmar, wenn der Kerl Montfort morgen die gleiche Geschichte erzählt, die er uns heute aufgetischt hat, und du nimmst für Sophia Partei, dann rettet dich nur die ganz schnelle Verpflichtung, erst die Albigenser zu verbrennen und dann Jerusalem zu befreien. Wach auf, Dietmar! Hier reicht es, einen Ketzer zu kennen, damit sie dir den Hals durchschneiden. Oder Schlimmeres … du könntest auf dem nächsten Scheiterhaufen landen, den sie entzünden. Morgen wahrscheinlich, im nächsten Dorf. Wir haben uns doch heute schon verdächtig gemacht. Jetzt leg dich noch eine Stunde aufs Ohr, und dann brechen wir auf. Hoffentlich bewachen die ihr Lager nicht. Aber es wird sich ja wohl selten einer nachts davonstehlen.«
Tatsächlich gelang es Rüdiger, Dietmar und Hansi, ungestört das Feldlager Montforts zu verlassen. Zwar gab es zwei verschlafene Wachleute, aber die wagten es nicht, die abreitenden Ritter auch nur anzusprechen. Rüdiger und die anderen passierten sie im Schritt mit knappem Gruß. Sie hatten volle Rüstungen angelegt – wahrscheinlich vermuteten die Wachen, dass die Ritter im Auftrag Montforts irgendwohin unterwegs waren. Die Freunde setzten ihre Pferde in Galopp, sobald sie außer Sicht waren.
»Und nun schleunigst weg vom direkten Weg nach Toulouse. Damit wir denen auf keinen Fall wieder in die Hände fallen!«, sagte Hansi befriedigt.
»Glaubt ihr, Sophia ist noch in Montalban, wenn der Graf schon in Toulouse ist?«, zweifelte Dietmar.
»Das sehen wir ja dann«, beschied ihn Rüdiger. »Auf jeden Fall erfahren wir es in Montalban. In Toulouse natürlich auch, aber falls sie da nicht ist, sitzen wir womöglich fest in einer belagerten Stadt.«
Der Weg führte die Ritter zunächst ein Stück zurück, in Richtung des am Vortag überfallenen Dorfes. Als sie von dort aus auf schmale Wald- und Wiesenwege in die Richtung Montalban auswichen, trafen sie im Morgengrauen auf eine kleine, erschöpft wirkende Gestalt.
»Ich werd narrisch, das Mädel aus dem Dorf!« Übermüdung und Aufregung ließen Hansi immer sofort in seine heimische Mundart zurückfallen.
Aber er irrte sich nicht. Das junge Mädchen trug das gleiche Kleid wie am Vortag, sein helles Haar hing nachlässig mit einem Lederband zusammengefasst über den Rücken. Es hatte ein Bündel geschultert und wirkte todmüde. Als es Hufschlag hörte, versuchte es trotzdem, sich rasch in die Büsche am Wegrand zurückzuziehen.
»Brauchst keine Angst zu haben. Wir sind’s bloß«, sprach Hansi sie beruhigend an.
Das Mädchen sah zu den Rittern auf, dann versank es in einem tiefen Knicks. »Ich dank Euch, Messeigneurs, dass Ihr mein Dorf gerettet habt«, sagte es höflich. »Ihr … Ihr werdet mir auch jetzt nichts tun?« Es klang zweifelnd.
»Wo willst du denn
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