Das Erbe der Pilgerin
Geschehen auf dem Turnierplatz beide ständig kommentierten.
Dietmar war überglücklich, als das Mädchen sich schließlich zurückzog, und lenkte den Zorn der anderen Ritter in seiner Unterkunft auf sich, indem er den Rest des Abends damit verbrachte, ein eigenes Liebeslied zu komponieren.
»Wenn du ihr das vorsingst, schickt sie dich zur Hölle!«, bemerkte der Ritter, mit dem Dietmar den Strohsack teilte. »Aber du solltest es vor dem Tjost versuchen. Rüdiger von Falkenberg wird sich schreiend am Boden winden und gar nicht erst anreiten.«
»Rüdiger?«, fragte Dietmar und ließ die Laute sinken. »Gegen den trete ich morgen an?«
Er rollte sich zufrieden in seine Decke, als der Befragte bejahte. Rüdiger würde ihn mit Nachsicht behandeln. Ganz sicher tjostete er ihn vor den Augen seiner Liebsten nicht in den Sand! Nein, Rüdiger von Falkenberg war großmütig. Zweifellos ließ er seinen Neffen gewinnen!
»Und? Was wirst du tun?«, fragte Abram neugierig, als er Rüdiger am nächsten Morgen vor den Ställen traf.
Dietmar war bereits unterwegs und ließ seinen Hengst in Sichtweite Sophias über den Abreiteplatz tänzeln.
»Was uns angeht, so haben wir alles getan, was möglich war, um das Mädchen fernzuhalten«, fuhr Abram fort. »Miriam hat dem Grafen von Toulouse erfolgreich eingeredet, die Sterne verhießen Unheil, wenn er heute auf den Turnierplatz käme. Er bleibt auch ganz gern in seinem Quartier, gestern hat er eifrig dem Wein zugesprochen – gemeinsam mit Freund Roland. Vielleicht ist der ja heute auch angeschlagen. Aber leider hat der König einen Narren an Miri gefressen, und die Königin findet auch Sophia ganz entzückend. Also Einladung von höchster Stelle, da war nichts zu machen. Obwohl der Bischof nicht begeistert ist, weder von der Maurin noch von der Tochter des Usurpators an der Seite des Königs. Aber sonst sind kaum noch Frauen auf der Ehrentribüne – wenn das so weitergeht, wird die Königin den Sieger selbst küssen müssen.«
Tatsächlich fanden täglich mehr Hofdamen der Königin und Gattinnen der Würdenträger Gründe, dem Turnierplatz fernzubleiben. Es war wieder sonnig, aber bitterkalt, und es erforderte ein Übermaß an Pflichtbewusstsein – oder echte Begeisterung für Ritterkämpfe –, den ganzen Tag lang unter dem Ehrenbaldachin auszuharren. Längst zogen die Zuschauer ihre wärmsten Reisemäntel über die Festkleidung – nur der König hielt stoisch in seinen Prunkgewändern Hof. Der Bischof hatte Pelze bringen lassen, um die Sitze abzupolstern, und er ließ schon am Morgen heißen Würzwein reichen. All das half jedoch nur kurzfristig. Spätestens gegen Mittag war jeder durchgefroren bis ins Mark.
»Die kleine Sophia wirkt allerdings noch ganz rosig«, meinte Abram. »Und wenn du mich fragst, so fiebert sie dem Kampf eines ganz bestimmten Ritters entgegen. Also – was wirst du tun, Rüdiger?«
Rüdiger prüfte das Holzschwert, das man ihm zugewiesen hatte – obwohl Hansi eigentlich immer darauf achtete, dass er keine schadhafte oder brüchige Waffe bekam.
»Was schon?«, antwortete er dann unwillig. »Ich werde ihn schlagen, aber möglichst so, dass er gut dabei aussieht. Ein junger Ritter, der dem älteren ehrenhaft und möglichst knapp unterliegt. Das kann ihn in den Augen der Kleinen nicht herabsetzen, und wenn doch, dann umso besser. Diese Liebe ist sowieso eine Katastrophe, zumal, wenn du meinst, dass er sie sich wirklich nicht nur einbildet.«
Abram schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Hoffnung, er hat sich gestern eine Laute geliehen. Von einem der Troubadoure aus Toulouse, deshalb haben wir’s mitbekommen. Die schlägt er doch nicht für sich im stillen Kämmerlein. Nein, nein, Rüdiger, dein Neffe ist pfiffiger, als du denkst. Oder sagt man in dem Fall ›minniglicher‹?« Er grinste.
»Jedenfalls ist es besser, er ist mir böse, als dass er tot wäre«, brachte Rüdiger seine Absichten auf den Punkt. »Und nun wünsch mir Glück, Abram, ich muss mein Pferd aufwärmen.«
Unglücklicherweise waren es gerade Rüdigers gute Absichten, die Dietmar zum Verhängnis wurden. Der junge Ritter selbst hatte nämlich keineswegs vor, sich im Kampf gegen seinen Oheim zurückzuhalten, er entzog sich Rüdiger auch auf dem Abreiteplatz. Keine Absprachen! Das machte sein Verhalten unmissverständlich deutlich. Niemand sollte glauben, Rüdiger hätte ihn absichtlich gewinnen lassen – auch wenn Dietmar dies natürlich im Stillen hoffte. Insofern war er denn
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