Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
was wir heute sind: Sklaven des Whyono, Rechtlose, denen sich jeder nach Gutdünken bedienen kann, und am Ende … Blutopfer für die Altäre des dunklen Gottes.«
»Du hast das Herz eines Kriegers«, sagte Ylva, ohne näher auf Faizahs verzweifelte Worte einzugehen. »Unbeugsam bist du und sehr klug. Es ist ein Zeichen, dass das Schicksal dich in diesen dunklen Zeiten zu uns geführt hat.«
»Und was bedeutet das?«
»Kein Schritt bleibt ohne Folge«, erwiderte Ylva geheimnisvoll. »Es muss einen Grund dafür geben, dass Rekus Mahoui den Weg zu dir fand.«
»Rekus Mahoui?«
»Oona wird ihn dir später zeigen. Doch zunächst habe ich noch Fragen an dich.«
Sie sprachen lange miteinander.
Faizah gab der älteren Frau einen Einblick in das Leben der Uzoma und beschrieb ausführlich, wie es jenen erging, die sich der Herrschaft des Whyono widersetzten.
»Ich danke dir, Faizah. Du hast mir sehr geholfen«, sagte Ylva schließlich. »Für heute soll es genug sein. Es gibt vieles, worüber ich nachdenken muss.« Sie erhob sich.
»Ich habe Euch zu danken«, erwiderte Faizah. »Ohne den Reiter, der mich fand, wäre ich gewiss in der Steppe umgekommen.«
»Es war der Mahoui, der dich fand, nicht der Reiter«, verbesserte Ylva. »Doch das macht keinen Unterschied. Du bist unser Gast. Nicht unsere Gefangene. Du kannst bleiben, solange du es wünschst.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Faizah bedeutet in deiner Sprache soviel wie: die Siegreiche«, erklärte sie und fügte hinzu: »Nie wieder solltest du deinen Willen dem eines anderen beugen.« Dann wandte sie sich um und ging hinaus.
Faizah blickte ihr verwundert nach, doch ihr blieb kaum Zeit, lange über das seltsame Gespräch nachzudenken, denn schon wenige Augenblicke später betrat Oona wieder den Raum. Sie trug ein Bündel Kleider über dem Arm, das sie auf der Schlafstatt ablegte. »Ich bringe dir frische Gewänder«, sagte sie mit einem Blick auf Faizahs zerschlissenen, unansehnlichen Kittel. »Es ist an der Zeit, die Zeichen der Unterdrückung abzulegen. Hier«, sie reichte Faizah ein helles Obergewand aus weichem Gewebe, »Es war das größte, das ich finden konnte. Ich hoffe, es passt dir. Wir werden nicht umsonst das ›kleine Volk‹ genannt.« Sie blickte aus dem Fenster. »Die Sonne scheint. Wenn du umgezogen bist, zeige ich dir die Mahoui.«
»Warum sollte ich das tun?« Othons Stimme überschlug sich fast. Wütend verschränkte er die Arme vor der Brust und verzog den Mund. »Auf gar keinen Fall gehe ich dort hin«, erklärte er nachdrücklich. »Dort stinkt es, und es ist kalt. Es gibt nicht einmal ein Haus, in dem man sich wärmen könnte, und auch sonst keine Annehmlichkeiten, die meiner würdig wären. Also, warum sollte ich dorthin reisen?«
»Weil du der Whyono bist.« Der Spott in Vharas Stimme war gerade so bemessen, dass Othon ihn nicht spürte. Im Gegensatz zu dem Herrscher der Uzoma, der mit hochrotem Kopf im Zimmer auf und ab schritt, schien die Priesterin den kommenden Ereignissen gelassen entgegenzusehen. Nichts deutete darauf hin, unter welcher Anspannung sie stand.
Othon musste zum Pass, daran führte kein Weg vorbei.
Vor kurzem hatte ein Bote ihr die Nachricht überbracht, dass die letzte Wagenladung des flüssigen Feuers angekommen sei. Alles war bereit. Der entscheidende Angriff stand unmittelbar bevor. Ein Heer von mehr als achttausend Uzoma und dreißig Lagaren wartete nur noch auf den Befehl ihres Herrschers, um die letzte, alles vernichtende Schlacht gegen die Ungläubigen zu führen.
»Ich werde den Angriffsbefehl schriftlich erteilen«, hörte sie Othon hastig vor sich hin murmeln. »Ja, so mache ich es. Ein Lagarenreiter kann ihn noch heute zum Pass bringen. Irgendeiner dieser nichtsnutzigen Stammesfürsten wird ihn doch wohl an meiner Statt verlesen können.«
»Das ist gegen die Tradition«, beharrte Vhara.
»Tradition, pah!«, rief Othon aus. »Die Stammesfürsten haben schon mit so vielen Traditionen gebrochen. Es ist doch wohl gleichgültig, ob meine Anordnungen auf einem Pergament stehen oder ich sie selbst verkünde. Ich bin der Whyono, und sie müssen meinen Befehlen Folge leisten.«
»Das werden sie nur, wenn du ihnen dabei ins Gesicht siehst.«
»Aber warum denn?« Othon hob in einer verzweifelten Geste die Arme.
»Weil sie nur für einen Herrscher kämpfen, den sie achten«, fuhr Vhara ihn an. Angesichts der Feigheit dieses Mannes, den sie regieren ließ, gelang es ihr nicht, den
Weitere Kostenlose Bücher