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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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und Ajana folgten ihm in größerem Abstand.
    Die Enge und das aufgeregte Treiben, die lauten Rufe der Krieger und der Lärm machten es Ajana schwer, ihr Pferd zu führen. Die Straße war überfüllt, überall stießen sie auf Hindernisse. Der erschöpfte Falbe reagierte nervös auf die allgemeine Unruhe. Als eine dicke Eisenkette in unmittelbarer Nähe mit lautem Rasseln von einem Karren zu Boden glitt, scheute er, und Ajana konnte sich nur mit Mühe im Sattel halten.
    Im Schritt lenkte sie das Tier durch das Gewimmel und blickte aufmerksam geradeaus, immer darauf bedacht, Hindernisse möglichst rechtzeitig zu erkennen. Gleichzeitig nutzte sie die Gelegenheit, sich ein wenig umzusehen.
    Mit einem Anflug von Ehrfurcht betrachtete sie die hoch aufragenden Felswände, die zu beiden Seiten der Festung mehr als dreihundert Meter senkrecht in die Höhe ragten und an deren Fuß sich Häuser, Ställe und Wehranlagen schmiegten. Das Tal, in welches die Festung hineingebaut war, war lang und schmal. Zur Ebene hin mochte es kaum fünfhundert Meter breit sein und zog sich noch enger zusammen, je weiter man in das Gebirge vordrang.
    Die Wege und Straßen innerhalb der Festungsanlage führten stetig bergauf. Wenn Ajana den Kopf in den Nacken legte, konnte sie in der Ferne, weit über den Dächern der Häuser, eine gewaltige steinerne Mauer erkennen, die sich von einer Seite der Schlucht zur anderen erstreckte. Vor der Brüstung waren winzige Gestalten zu sehen, die auf den Wehrgängen auf und ab schritten; das dämmrige Licht ließ sie wie schwarze Schatten aussehen. Ajana vermutete, dass es die Wachen waren, die das Heerlager der Uzoma von der hohen Warte aus beobachteten, um bei einem drohenden Angriff sofort Alarm zu schlagen.
    In diesem Augenblick polterte in unmittelbarer Nähe ein Baumstamm von einem Karren. Der Falbe scheute erneut, doch diesmal hatte sie ihn fest im Griff. Ein Krieger stieß einen Warnruf aus, doch ein anderer, dessen schwarzer Kaftan ihn, wie Ajana gelernt hatte, als Fath auswies, konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Der schwere Baumstamm riss ihn zu Boden, und sein gellender Schrei hallte durch die Festungsanlage. Aus allen Richtungen eilten Krieger herbei, um dem Verletzten zu helfen. Ajana sah noch, wie sie mit vereinten Kräften den Stamm anzuheben versuchten, dann trug der Falbe sie um eine Biegung, und die Unglücksstelle blieb hinter ihr zurück. Ajana blickte voraus – und riss die Augen auf.
    Im Fackelschein eines Hauseingangs in einer nahen Gasse glaubte sie eine bekannte Gestalt zu sehen. An der Wand neben der hölzernen Tür lehnte ein hoch gewachsener Mann in einem langen dunklen Mantel. Auf dem Kopf trug er einen schwarzen Hut mit breiter Krempe, der das Gesicht nahezu verdeckte. Nur ein paar lange graue Strähnen, die ihm bis auf die Schultern fielen, und ein kurzer grauer Bart schauten darunter hervor.
    Ein eisiger Schrecken durchzuckte Ajana, und die Erinnerung an den Bahnübergang, an welchem sie fast vom Zug erfasst worden wäre, erwachte zu neuem Leben. Der Mann … Ajana war sicher, dass er sie beobachtete. Obwohl sie seine Augen nicht sah, konnte sie seine Blicke spüren. Wie damals … War es denn überhaupt möglich, dass es sich um denselben Mann handelte? Ajana wollte es zunächst nicht glauben, doch dann sah sie, wie er den Arm hob, eine durchsichtige Flasche an die Lippen setzte und einen tiefen Schluck nahm.
    Die Flasche!
    Die Menschen in diesem Land besaßen keine Flaschen, das war selbst ihr aufgefallen. Sie tranken aus tönernen und hölzernen Gefäßen oder aus Wasserschläuchen, aber nicht aus Flaschen. Das konnte nur bedeuten …
    »Er kennt den Weg nach Hause!« Der Gedanke durchzuckte sie wie ein Blitz, und ein Gefühl jäher Hoffnung überkam sie. »Wenn er jetzt hier ist, dann weiß er sicher, wie man wieder zurückkommt!« Ajanas Herz pochte so heftig, dass sie vor Aufregung kaum atmen konnte. Sie gab dem Falben zwei kräftige Hiebe in die Seite und lenkte ihn auf den Hauseingang zu.
    Der Unbekannte rührte sich nicht. Er trank auch nicht mehr, sondern lehnte nun wieder lässig an der Hauswand und sah Ajana gleichmütig an. Ajana trieb ihr Pferd zur Eile an. Die Festung, die Krieger, das Amulett und selbst die Worte, welche die Alte in der Hütte gesprochen hatte, all das war nicht mehr wichtig. Selbst die Furcht, die sie bislang beim Anblick des Mannes verspürt hatte, rückte angesichts der aufkeimenden Hoffnung in den Hintergrund. Denn dieser Mann stammte

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