Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
du kämpfen?«, flüsterte sie Miya zu. Aber diese blieb ihr die Antwort schuldig. Auf dem Karren wurden Rufe laut. Etwas Dunkles flog durch die Luft und zersplitterte krachend am Boden.
Eine Kiste!
»Nun, was haben wir denn da?« Die Arme in die Hüften gestemmt, trat der Ajabani vor die blitzenden Klingen, die aus der zerschmetterten Kiste hervorschauten. »Opfergaben und Präsente für den Einen und seine Priesterinnen?« Er gab den Kriegern ein Zeichen, deutete auf die Streiter und rief »Tötet sie!«
»Im Namen Callugars!« Maimun hatte den Dolch gezogen und stürmte vor. Die anderen taten es ihm gleich. Ein Schlachtruf aus Dutzenden von Kehlen hallte durch den Wald, während die Streiter Callugars nur mit ihren Dolchen bewaffnet auf die Wachen einstürmten.
»Lauf!« Auch Miya hatte ihre Klinge gezogen.
Aber Yenu lief nicht. Wie gelähmt starrte sie auf die Streiter, die sich todesmutig in den Pfeilhagel stürzten, den die Wachen ihnen entgegenschickten. Sie waren den Kriegern der Tempelgarde zahlenmäßig weit überlegen; da ihnen jedoch die Waffen fehlten, wurden sie zu einer leichten Beute. Yenu sah, wie drei Männer und eine Frau schon beim ersten Ansturm tödlich von Pfeilen getroffen zusammenbrachen, während der Ajabani mit blitzendem Krummsäbel blutige Ernte unter den Rebellen hielt.
»Lauf!« Miya versetzte Yenu einen Stoß. »Jetzt lauf schon, oder willst du hier sterben?«
»Miya, ich …«
»Verschwinde endlich!« Miya hob den Dolch. »Du sollst weglaufen. Bei den Göttern, warum hörst du nicht?«, herrschte sie Yenu an. »Versuche die Stadt zu erreichen, und berichte Jarmil, was …« Sie verstummte mitten im Satz und riss erschrocken die Augen auf. Für einen endlosen Augenblick schien sie wie erstarrt.
»Miya? Was ist los?« Yenu machte einen Schritt auf die Freundin zu.
»Lauf …« Miyas Stimme war über den Lärm des Kampfes hinweg kaum zu verstehen. Blut quoll aus ihrem Mundwinkel.
»Miya!« Yenu schlug die Hände vor den Mund und wich ein paar Schritte zurück, unfähig, irgendetwas zu tun. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete sie, wie der Dolch Miyas Hand entglitt, wie ihr Körper erschlaffte und sie einem gefällten Baum gleich zu Boden stürzte. Zwei Pfeile ragten aus ihrem Rücken, das helle Gewand war von Blut getränkt.
Yenu schrie auf. Da zischte ein Pfeil knapp an ihrem Ohr vorbei.
Lauf so schnell du kannst , hörte sie Miya in Gedanken noch einmal sagen. Kümmere dich nicht um mich.
Yenu schaute sich panisch um. Wohin soll ich laufen?, dachte sie. Wohin? Sie fühlte sich wie betäubt und konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Auf der Straße kämpfte Maimun noch immer wie ein Berserker gegen drei Krieger der Tempelgarde. Sein Körper war mit Wunden übersät und glänzte von Blut, aber er schien es nicht einmal zu spüren. Irgendwie hatte er ein Kurzschwert aus einer der Kisten an sich reißen können. Seine Kampfesschreie hallten durch die Nacht, während er die blutige Klinge wie im Rausch gegen seine Widersacher richtete. Starr vor Entsetzen beobachtete Yenu, wie er einer der Wachen mit nur einem Schlag den Kopf von den Schultern trennte.
Yenu wandte sich ab, aber wohin sie auch blickte, überall war Blut: Es glänzte auf den Körpern der Kämpfenden, benässte die Waffen und sickerte in lautlosem Strom aus den Wunden der Getöteten. Es mischte sich mit dem Regen und sammelte sich in den Pfützen, um dann als roter Strom in den Rinnsalen davon zu schwimmen.
So viel Blut. Sie zitterte am ganzen Körper.
Fünf weitere Rebellen lieferten sich indes einen erbitterten Kampf mit den Kriegern der Tempelgarde. Alle anderen lagen reglos am Boden. Aus den Augenwinkeln sah Yenu, wie eine Frau von einer Lanze durchbohrt wurde.
Hastig wandte sie sich ab. Das war kein Kampf, das war ein grauenhaftes Massaker. Ein gnadenloses Gemetzel, dessen Bilder sich unauslöschlich in ihr Bewusstsein brannten. Dann entdeckte sie den Ajabani. Er stand etwas abseits und beobachtete das Geschehen so gelassen, als wäre es nichts weiter als ein unterhaltsames Schauspiel.
Abgrundtiefer Hass stieg in Yenu auf, als sie ihn so überheblich und siegesbewusst dastehen sah, und für einen Augenblick vergaß sie alle Vorsicht.
Ohne lange nachzudenken, hob sie Miyas Dolch auf, trat auf den Weg hinaus und schleuderte die Klinge mit einem wütenden Kampfschrei auf den Ajabani. Messerwerfen zählte nicht zu ihren Stärken, aber Kummer und Wut weckten in ihr ungeahnte Kräfte. Ein Gefühl des
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