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Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Titel: Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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großen, schmucklosen Halle mit einfachen Mauerausbrüchen als Fenster.
    Wie schon in der vergangenen Nacht hatte sie auch in dieser nur wenig Schlaf gefunden. Die Enge, das vielstimmige Schnarchen und die allgemeine Unruhe, die auch von draußen hereindrang, waren ihr unerträglich, und die Sorge um Keelin tat ein Übriges, um sie wach zu halten.
    Inahwen und Aileys hatten sie am Vortag wiederholt gedrängt, zum Götterbaum zu gehen und zu beenden, was sie begonnen hatten. Aber die Sorge um Keelin war zu groß. Ajana dachte nur an ihn und sah sich außer Stande, die Magie der Runen anzurufen. So hatten sie den Rest des Tages damit zugebracht, mehr über die Aufgabe des Gottesboten und über Keelins Schicksal herauszufinden.
    Was sie erfahren hatten, machte Ajana Mut. Offenbar spielte Keelin nur kurz eine wichtige Rolle bei dem für den Nachmittag angesetzten Gottesurteil. Danach würde sie ihn Wiedersehen. Inahwens Anraten zum Trotz, die sie drängte, so schnell wie möglich in ihre Welt zurückzukehren, hatte sie sich entschlossen, damit zu warten, bis Keelin wieder zu ihnen stieß. Der Gedanke, ohne einen richtigen Abschied von ihm nach Hause zurückzukehren, war ihr unerträglich.
    Sie stand auf und trat vor die Tür, von wo aus das violette Licht der Morgendämmerung über der Tempelstadt zu sehen war. Auf den Straßen waren trotz der frühen Stunde schon erstaunlich viele Menschen unterwegs. Die meisten eilten dem großen Tempel entgegen. Ajana sah Männer mit Kübeln voll schwelender Glut für die Kohlebecken des Tempels, Frauen mit Brot, Früchten und Wein für das Morgenmahl der Priesterinnen, aber auch Krieger der Tempelgarde, die durch die Stadt patroullierten.
    Als sich die ersten Sonnenstrahlen über die Wipfel der Bäume erhoben, wurden sie von dumpfem Trommelschlag begrüßt. Wenig später vernahm Ajana über den Dächern den Schall der Muscheltrompeten.
    »Sie bringen dem Einen die ersten Opfer dar.« Eine junge Frau drängte sich an ihr vorbei ins Freie und huschte davon, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Die ersten Opfer … Ajana erschauerte. Was mochte das bedeuten? Die völlige Fremdheit dieser Stadt beeindruckte sie. Verglichen mit der Tempelstadt war Sanforan nicht mehr als ein schäbiges Dorf. Hier gab es weder knatternde Wagenräder auf hartem Steinpflaster, noch lag der Gestank von Exkrementen und Abfall in der Luft. Das Leben schien still und geordnet zu verlaufen, aber selbst Ajana spürte die Furcht, die wie ein unsichtbares Bahrtuch über allem lag. Niemand wagte es offen auszusprechen, doch in den Augen der Menschen war die Angst allgegenwärtig. Und mehr noch. Eine gespannte Erwartung schien die Menschen in der Stadt erfasst zu haben.
    »Es ist, als warteten sie auf etwas.« Ohne dass Ajana es bemerkt hatte, war Inahwen neben sie getreten.
    »Könnt Ihr meine Gedanken lesen?« Ajana sah sie erstaunt an. Es war nicht das erste Mal, dass sie dieses Gefühl beschlich. Sie hatte Inahwen aber noch nie darauf angesprochen.
    »Du bist von meinem Blut. Wir sind uns sehr ähnlich.« Inahwen lächelte wissend. »Deine Gedanken sind mir verborgen. Doch ich spüre, was du fühlst, und sehe in deinem Gesicht, dass dich und mich dieselben Fragen quälen.« Sie senkte die Stimme und sprach so leise, dass nur Ajana es verstehen konnte. »Diese Stadt ist wie ein Vulkan vor dem Ausbruch. Etwas wird geschehen, und zwar sehr bald. Sieh in die Gesichter der Menschen, und du wirst verstehen. Sie alle tragen Masken, hinter denen sie ihre wahren Gefühle verbergen. Sie sind furchtsam, ohne Frage. Aber hinter der Furcht verbergen sich Zorn, Wut und Hass, die, einmal entfesselt, großes Unheil anrichten können.
    Schon seit unserer Ankunft spüre ich die Beben, die dem Unvermeidlichen vorauseilen. Heute sind sie stärker als gestern, und mit jeder Stunde, die verstreicht, schwellen sie weiter an. War die Bedrohung gestern noch fern, ist sie heute wie die Wolkenwand eines Unwetters, die sich dunkel und unheilvoll am Horizont auftürmt und langsam näher schiebt, um dann mit Urgewalt über das Land hereinzubrechen.«
    »Das klingt, als befürchtet Ihr einen Aufstand«, flüsterte Ajana der Elbin zu.
    »Ich spüre nur die Stimmungen, die diese Stadt erfüllen; wohin das alles führt, vermag ich nicht zu sagen.« Inahwen seufzte ergeben. »Der Sturm wird bald losbrechen, daran besteht kein Zweifel, und ich bete darum, dass wir bereits fort sind, wenn es so weit ist.«
    »Ich werde auf Keelin warten!« Ajana blieb

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