Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
haben nicht nur ein Pferd, sondern auch die Hälfte unserer Wasservorräte verloren.« Abbas drehte sich um und schaute Ajana an. »Wisst Ihr, was das bedeutet?«
»Das bedeutet, dass wir von nun an abwechselnd reiten und mit dem Wasser noch sparsamer sein müssen.« Ajana gab sich kämpferisch. »Wir ziehen weiter, hörst du? Wir geben nicht auf. Nicht, nachdem wir so lange durch die Wüste geritten sind, und schon gar nicht so dicht vor dem Ziel. Wir haben Wasser verloren, das stimmt. Aber wir haben auch einen Durstigen weniger zu versorgen.« Sie fasste ihn an der Schulter, sah ihn eindringlich an und sagte: »Es war ein Unfall – hörst du? Du hast dir nichts vorzuwerfen. Und nun komm. Wir sind so weit gekommen und werden auch den Rest des Weges noch schaffen.«
Abbas erwiderte nichts. Schweigend maß er Ajana mit einem langen Blick, der deutlich machte, wie sehr er mit sich rang. Sie spürte, dass ihre eindringlichen Worte etwas in ihm berührt hatten, doch die Schande, versagt zu haben, lastete schwer auf ihm. Er ahnte, dass er damit ihrer beider Leben in Gefahr gebracht hatte, und obwohl sie es mit keinem Wort erwähnt hatte, musste auch ihm bewusst sein, dass sie um die drohende Gefahr wusste.
Für eine Weile sah es so aus, als wolle er ihrer Aufforderung keine Folge leisten. Dann stand er auf. Gemeinsam kletterten sie die Düne hinauf und hielten Ausschau nach einem geeigneten Lagerplatz, wo sie den heißen Tag im Schatten verbringen konnten.
***
Zwei Nächte, nachdem Yenu aus ihrer tiefen Bewusstlosigkeit erwacht war, konnte sie bereits wieder aufrecht sitzen und feste Nahrung zu sich nehmen. Sie war bleich, ihr Körper ausgemergelt, aber sie hatte das Schlimmste überstanden und wurde zusehends kräftiger.
Miya nahm Yenus Fortschritte erleichtert zur Kenntnis, spürte aber auch, dass ihnen für eine Flucht nicht mehr viel Zeit blieb, und wartete voller Ungeduld auf eine günstige Gelegenheit, ihrer Freundin zu erzählen, was wirklich hinter der Freundlichkeit der Kwannen steckte. Das war nicht leicht, denn anders als in der Zeit, da Yenu bewusstlos gewesen war, blieb der Heiler nun ständig in ihrer Nähe, und wenn er die Hütte einmal verließ, ergab es sich immer wie zufällig, dass einer der Krieger oder eine der Frauen dort waren.
Während Yenu immer fröhlicher und gesprächiger wurde, wurde Miya immer schweigsamer. Wenn sie mit Yenu redete, gab sie sich unbefangen. Sie wusste, dass die anwesenden Kwannen alles mit anhören konnten, und wollte nicht riskieren, dass sie Verdacht schöpften.
Endlich, am Mittag des zweiten Tages, nachdem Yenu erwacht war, glaubte sie eine gute Gelegenheit gefunden zu haben. Der Heiler war überstürzt zu einer Frau gerufen worden, die ihr erstes Kind gebar und seine Hilfe brauchte. Ohne, dass ihn jemand bei der Wache ablöste – Miya war inzwischen davon überzeugt, dass es sich um eine solche handelte –, verließ er die Hütte.
»Yenu!« Ungeduldig fasste Miya Yenu am Arm, die in einen leichten Schlummer geglitten war, und rüttelte sie wach. »Yenu, wach auf!«
»Was ist los?« Yenu schlug die Augen auf und blickte sich verwirrt um. »Warum weckst du mich?«
»Weil wir in großer Gefahr sind«, raunte Miya ihr zu.
»In Gefahr? Aber …« Yenu verstummte, weil Miya ihr den Finger auf die Lippen legte.
»Schscht!«, mahnte sie mit einem raschen Blick zum Eingang der Hütte und sagte dann: »Hör mir jetzt gut zu und unterbrich mich nicht. Ich weiß nicht, wann der Heiler wiederkommt, und muss dir etwas Wichtiges erzählen …« In kurzen und knappen Sätzen berichtete sie Yenu von dem Gespräch, das sie viele Tage zuvor belauscht hatte.
»Wir … wir sollen als Blutopfer der Kwannen zum großen Opferfest gebracht werden?« Fassungslos starrte Yenu Miya an. »Aber alle hier sind so freundlich.«
»Natürlich sind sie das.« Miya lachte bitter. »Du mästest ein Sumpfhuhn doch auch, ehe du es schlachtest, oder?« Ihre Stimme nahm einen entschlossenen Tonfall an. »Wir müssen hier weg, und zwar schnell. Am besten noch heute. Zu viele Nächte sind schon verstrichen. Sie können uns jederzeit holen kommen.« Sie blickte die Freundin eindringlich an und fragte: »Fühlst du dich schon kräftig genug, um zu laufen?«
»Ja, nein … Ich weiß es nicht.« Yenu machte eine hilflose Geste, blickte Miya mit großen Augen an und flüsterte: »Ich will nicht sterben – nicht so!«
»Keine Sorge, wir werden nicht sterben«, beeilte sich Miya zu
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