Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
redest.« Ylvas Worte klangen, als spräche sie zu einem störrischen Kind. »Die Tunnel, von denen ich sprach, sind nicht dazu angetan, Truppen oder gar einem ganzen Heer den Weg nach Nymath zu bereiten. Sie sind zumeist eng und niedrig und führen so oft in die Irre, dass man sich ohne einen erfahrenen Wegfinder dort schon nach wenigen Schritten verlaufen würde. Doch damit nicht genug.« Ihr Blick verdunkelte sich, und ihre Stimme nahm einen unheilvollen Klang an. »Dort unten lauern Gefahren, die sich kein Krieger der Vereinigten Stämme auch nur ausmalen kann. Gefahren, die älter sind als die Geschöpfe Nymaths, die gefährlicher sind als die gefürchteten Lagaren und derer man sich nicht mit Schwert und Schild erwehren kann. Also hütet euch und bleibt immer dicht zusammen. Ohne Ghan und Nahma seid ihr verloren.«
»Gefahren!« Bayard spie auf den Boden. »Habt Ihr etwa auch versucht, die Uzoma damit zu ängstigen? Glaubt Ihr wirklich, sie ließen sich von solchen Ammenmärchen einschüchtern?« Er schüttelte den Kopf. »Wie gutgläubig seid Ihr eigentlich, dass Ihr …«
»Ich habe gesagt, was der Wahrheit entspricht!« In Ylvas sonst so sanfter Stimme schwang plötzlich ein scharfer Unterton mit. Offensichtlich war die Heilerin der langen Rede müde und drängte auf eine Entscheidung. »Denkt und glaubt von mir aus, was ihr für richtig haltet. Es bleibt dabei: Entweder ihr geht gemeinsam, oder niemand wird das Tal verlassen!« Sie blickte den Heermeister streng an. »Ich habe das Wort der Uzoma, dass die Waffen für die Dauer des gemeinsamen Weges ruhen werden, und ich erwarte ein solches auch von den Vereinigten Stämmen.«
Bayard schien von dem plötzlichen Stimmungswechsel überrascht zu sein. Endlose Augenblicke lang maß er die Heilerin mit einem schwer zu deutenden Blick. Dann sagte er: »Asnar ist mein Zeuge, dass ich nicht säumen wollte. Doch vermag ich diese Entscheidung nicht allein zu treffen. Gebt uns etwas Zeit. Wir müssen uns beraten.«
Aus ihrem Versteck hinter einem dichten Bactibusch beobachtete Faizah die ungewöhnliche Zusammenkunft der Fremden mit großer Aufmerksamkeit. Die junge Uzoma war schon früh aufgewacht und hatte ihre Höhle verlassen, um in Begleitung von La, einem putzigen Lavinci, an den Südhängen des Tals nach Kilvarbeeren zu suchen, die dort besonders süß und saftig heranreiften.
Auf dem Weg dorthin hatte sie Ylva entdeckt, die von der Elbin, dem Falkner und den drei Heermeistern der Vereinigten Stämme begleitet wurde. Die sechs waren ganz offensichtlich in Eile. Dies und der Umstand, dass die Seherin der Vaughn schon so zeitig mit den Fremden unterwegs war, hatten Faizah neugierig gemacht, und sie hatte beschlossen, ihnen heimlich zu folgen.
Wohin sie gehen wollten und was sie vorhatten, darüber konnte sie nur Vermutungen anstellen, doch alles deutete darauf hin, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein musste.
Bereits am vergangenen Abend hatte sie eine eigenartige Veränderung wahrgenommen. Die Stimmung unter den Vaughn war umgeschlagen, als die von ihnen so sehr verehrte Magun im Tal angekommen war. Es war, als hätte sich mit ihrer Ankunft ein düsterer Schatten über das friedliche Tal gelegt, ähnlich einer Bedrohung, die sich in leise geflüsterten Worten und beschwörenden Gesten wie ein Lauffeuer verbreitete und sich in die Herzen der Vaughn schlich.
Doch während das kleine Volk zu wissen schien, was vor sich ging, konnte Faizah nur vage Vermutungen anstellen. Sie war hier zwar freundlich aufgenommen worden und wurde wie ein Gast behandelt, doch war sie im Herzen eine Fremde und fand keinen rechten Zugang zu den Vaughn. So war ihr denn auch die Botschaft, welche die Magun brachte, verborgen geblieben.
Selbst Oona, die ihr zur Freundin geworden war, hatte sich eigenartig verhalten und sich wortkarg so gegeben, als hätte sie ein Geheimnis zu wahren. Geschickt war sie Faizahs Fragen ausgewichen und hatte diese nur vage beantwortet. Und obwohl Faizah sich ganz sicher war, dass ihre Freundin die Gründe für die Veränderung kannte, war es ihr nicht gelungen, von ihr mehr über die Ursache der bedrückten Stimmung zu erfahren.
Und nun gingen sie fort! Zumindest hatte es den Anschein, denn die Fremden trugen nicht nur Reiseumhänge, sie führten auch Waffen, Proviant und fertig geschnürte Bündel mit sich.
Es war offensichtlich, dass etwas Bedeutsames geschehen würde.
Auf einer Lichtung an der Südseite des Tals hatten die sechs
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