Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
lassen.
Die Seherin hatte Inahwen und Bayard versichert, dass die drei Uzoma weder etwas über Ajanas Herkunft wussten noch darüber Kenntnis hatten, welches Ziel ihre Gruppe wirklich verfolgte. Inahwen hatte sich mit dieser Erklärung zufrieden gegeben, und obwohl Bayard nach wie vor misstrauisch war, hatten sie sich wenig später auf den Weg gemacht.
Ylva blickte ihnen nach, bis auch der Letzte von ihnen im grünen Dickicht verschwunden war. Dann war sie allein. Allein mit den Zweifeln und Fragen, die auch sie bewegten.
Die Seherin fuhr sich mit der Hand müde über die Augen. Sie hatte gehandelt, wie ihre Visionen es sie geheißen hatten, oder zumindest so, wie sie die verworrenen Bilder glaubte deuten zu können. Zunächst hatte sie gezweifelt und gezögert, ob sie diesen gefährlichen Schritt wagen und die Feinde gemeinsam ziehen lassen sollte. Doch die Magun hatte ihr noch am Vorabend Mut zugesprochen und sie darin bekräftigt, dass sie die Visionen richtig deutete.
Und wenn auch sie sich irrte? Wenn nun doch Fehler in ihren Deutungen lagen? Wenn sie Kleinigkeiten nicht bedacht oder gar übersehen hatte? Ylva wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Sie war nicht allwissend, nicht unfehlbar und nicht frei von Trugschlüssen. Und sie wurde alt.
»Närrische Alte, was sinnst du da für ein törichtes Zeug!«, maßregelte sie sich selbst und verdrängte die bohrenden Zweifel aus ihren Gedanken. »Die Botschaft war eindeutig: Ein großes Ziel kann nur gemeinsam erreicht werden. Nur wenn wir die Hoffnung nicht verlieren, wenn wir stark und einig sind, werden wir das bewahren, was uns von der Großen Mutter gegeben wurde.«
Ein großes Ziel … Die Seherin hob den Blick nachdenklich zum Himmel, dann drehte sie sich um und machte sich auf den Weg zu ihrer Höhle. Dabei wanderte ihr Blick wie zufällig noch einmal dorthin, wo die Hoffnungsträger Nymaths ihre beschwerliche und gefährliche Reise begonnen hatten, und sie betete im Stillen darum, dass ihr Entschluss die Völker Nymaths dem großen Ziel zumindest ein kleines Stück näher bringen würde.
Ungehindert erreichte der dunkle Gott in der Gestalt des Wanderers das geöffnete Tor. Doch diesmal trat er nicht wie gewohnt selbstbewusst ein, sondern verharrte in gespielter Ehrerbietung vor dem Eingang zur erleuchteten Halle. »Ich habe Euren Ruf vernommen«, sagte er in geheuchelter Unterwürfigkeit. »Hier bin ich.«
»So tritt ein!« Eine samtene Stimme erfüllte die Halle, und die wenigen Worte schienen einen Teil des vergangenen Glanzes zurückzubringen. »Wo sind die anderen?«
»Sie sind verhindert.« Der Jüngling im dunklen Gewand tat, wie ihm geheißen. Gemessenen Schrittes durchquerte er die Halle und hielt schließlich vor einer der Ruhestätten inne, auf der die zu Stein erstarrte Hülle der Göttin Emo ruhte. Ihr Anblick hatte nichts von seinem Liebreiz verloren, doch anders als die anderen Körper wirkte ihre graue Haut spröde und vergänglich wie das farblose Meer steinerner Blumen, auf das sie gebettet lag. Unzählige der filigranen Blätter und Blüten waren von feinen Haarrissen durchzogen. Viele von ihnen waren nur noch in Bruchstücken erhalten, und die zerbrochenen Relikte dessen, was einst von überragender Schönheit gewesen war, bedeckte den staubigen Boden rings um die Ruhestätte.
Ein strahlendes Leuchten, das keinen Ursprung zu haben schien, trat durch die feinen Risse der Hülle nach außen und tauchte die Halle in ein gespenstisches Licht.
»Verhindert?« Empörung lag in der Stimme, und das Licht gewann weiter an Kraft. Gleichzeitig ertönte ein heller, sphärischer Klang. Das einheitliche Grau der steinernen Blumen wich dem farbenprächtigen Anblick einer blühenden Sommerwiese, während ein betörender Duft das Gewölbe erfüllte. Der sphärische Ton mischte sich mit melodischen Klängen, gewann an Stärke, und nur Bruchteile eines Augenblicks später verwandelte sich das versteinerte Abbild der wilden Jägerin in das einer unbeschreiblich schönen Frau aus Fleisch und Blut.
»Emo!« Der Dunkelgewandete verbeugte sich ehrfürchtig und verharrte mit gesenktem Blick, bis die Göttin das Wort an ihn richtete.
»So bist du der einzige Getreue, der mir Aufschluss geben kann?«, hörte er sie fragen, während sie sich auf ihrer blumengeschmückten Ruhestätte aufrichtete und den Staub von den Gewändern streifte.
»So ist es.« Er nickte, ohne den Blick zu heben.
»Nun denn.« Die Göttin verharrte kurz und
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