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Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin

Titel: Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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versöhnen zu können, ein noch viel größeres Unheil heraufbeschwor?
    Ylva überlief es eiskalt, als sich ein neuer, weitaus schrecklicherer Gedanke in ihr Bewusstsein schlich. War es möglich, dass ihr die vermeintlich hoffnungsvolle Vision gar nicht von der Großen Mutter, sondern von einer anderen Macht gesandt wurde, um sie und ihre seherischen Fähigkeiten für finstere Zwecke zu missbrauchen? War sie womöglich einer Täuschung erlegen? Oder, schlimmer noch, das ahnungslose Opfer eines hinterhältigen Plans, der die endgültige Vernichtung der Vereinigten Stämme Nymaths zur Folge haben würde?
    Ylva hatte das Gefühl, nicht länger stehen zu können. Die Furcht, ein schreckliches Unheil angerichtet zu haben, machte ihre Glieder bleischwer, und sie musste sich setzen.
    »Große Mutter, was habe ich getan?«, seufzte sie matt, stützte die Arme auf den Tisch und schlug die Hände vors Gesicht. Niemals zuvor hatte sie sich so zerrissen und hilflos gefühlt. Sie musste Gewissheit haben. Und dazu gab es nur einen Weg …
    Ylva wartete einen Augenblick, bis das Gefühl der Schwäche schwand, dann erhob sie sich und trat vor den Baumstumpf mit dem blassen Pilzbewuchs. Mit einem scharfen Kräutermesser schnitt sie einige Fasern des Geflechtes heraus und legte sie vorsichtig in einen kleinen Korb. Die Wirkung des frisch geschnittenen Pilzes war am größten. Wenn ihr Plan gelingen sollte, würde sie sich beeilen müssen. Mit sicherem Griff nahm sie einen Strauß getrockneter Nnyrri-Mar-Triebe von einem Haken an der Decke, legte sie zu den Pilzfasern in den Korb und verließ die Höhle mit eiligen Schritten.
    Ohne auf die erstaunten Blicke jener zu achten, die ihr begegneten, durchquerte sie die Gänge zwischen den Höhlen, trat hinaus in das wolkenverhüllte Licht des frühen Abends und schritt über den freien Platz am Fuße der Wohnhöhlen, auf dem zu Festlichkeiten und besonderen Anlässen, das m’Uuola – das Große Feuer – entzündet wurde. Ein gewaltiger Haufen aus Ästen und trockenem Reisig, der anlässlich des geplanten Tribunals hatte entzündet werden sollen, war von den Vaughn bereits inmitten des großen Runds aus Steinen aufgeschichtet worden. Doch nach der überraschenden Wendung, die sich am Vorabend ergeben hatte, würde es noch eine ganze Weile dauern, bis sich die Flammen zu Ehren der Großen Mutter in den Himmel reckten.
    Sie ging weiter und erklomm einen kleinen Hügel, auf dessen Kuppe sich eine weitere, wenn auch viel kleinere Feuerstelle befand. Hier lagen ebenfalls Äste und Reisig neben dem Rund aufgeschichtet, das mit einem Rest erkalteter Asche gefüllt war.
    Ylva stellte den Korb ab und schlug mit geübten Bewegungen zwei Feuersteine über trockenem Moos aneinander, um ein kleines Feuer zu entfachen. Wenig später züngelten die ersten Flämmchen über dem Kraut, und sie legte Reisig nach, um das Feuer zu schüren. Als das Geäst zu glühenden Stücken zerfiel, prüfte sie die Windrichtung und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen so neben die Feuerstelle auf den Boden, dass ihr der Wind die Wärme und den Rauch des Feuers ins Gesicht blies. Ohne Eile nahm sie die Nnyrri-Mar-Triebe zur Hand und rupfte die getrockneten ovalen Blätter mit geübten Bewegungen von den Zweigen. In gemessenen Abständen warf sie die Blätter paarweise in die Glut, woraufhin diese sogleich Feuer fingen und einen süßlichen Geruch verbreiteten.
    Ohne in ihrer Tätigkeit innezuhalten, schloss Ylva die Augen, sammelte sich und sog den Rauch der Blätter mit gleichmäßigen, tiefen Atemzügen in ihre Lungen. Binnen weniger Augenblicke wurde sie ganz ruhig. Atem und Herzschlag verlangsamten sich, und sie spürte, wie sich in ihr eine tiefe, kraftvolle Gelassenheit entfaltete.
    Ihre Hände rupften weiter die Blätter von den Zweigen und streuten sie in die Glut, doch es war nicht mehr ihr Wille, der sie lenkte. Sie bewegten sich wie von selbst.
    Als das letzte Blatt in Flammen aufging, glitten ihr die kahlen Zweige aus den Fingern. Sie legte die Hände in den Schoß und ließ sich in eine noch tiefere Trance gleiten, indem sie zu einem monotonen Singsang in der alten Sprache der Vaughn ansetzte, zu dessen auf- und abschwellendem Rhythmus sie die Arme in flatternden Bewegungen zum Himmel hob und wieder senkte. Das Ritual war ihr wohl vertraut. Die Bannworte zum Vertreiben böser Geister und zum Besänftigen dunkler Mächte entflohen ihren Lippen wie von selbst, und sie öffnete ihr Bewusstsein für das, was

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