Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
scharfen Zähnen die Fesseln der Uzoma zernagen.«
»Oh!« Ajana nickte betroffen. »Ich verstehe. Entschuldige, daran habe ich nicht gedacht.«
»Du konntest es ja auch nicht wissen.« Keelin lächelte. »Dennoch müssen wir vorsichtig sein.«
»La ist kein abgerichtetes Lavinci«, warf Faizah in diesem Augenblick ein. »Es wurde von Oona großgezogen und begleitet mich aus freien Stücken. Bitte, lass es los. Es hasst es, so gehalten zu werden.«
Das Lavinci fiepte leise.
»Ist schon gut.« Ajana nahm Keelin das Baumhörnchen ab und barg es in ihrer Hand, während sie ihm mit der anderen eine Pacunuss aus Faizahs Vorratsbeutel hinhielt. Das Baumhörnchen gab einen herzerweichenden Laut von sich und fing sofort an zu knabbern. »Was machen wir jetzt?« Ajana sah Keelin ratlos an.
»Behalte du es«, schlug Keelin vor, der zu spüren schien, dass Ajana den kleinen Nager bereits ins Herz geschlossen hatte. Dann deutete er auf Faizah und fügte hinzu: »Es darf aber nicht in ihre Nähe kommen. Am besten, du verwahrst es in einer Tasche, damit es uns keinen Ärger bereitet.«
Ajana nickte. »Ich werde gut auf das Lavinci aufpassen«, versprach sie. Die Worte waren auch an Faizah gerichtet, die hörbar aufatmete. Offensichtlich hatte sie um das Leben ihres kleinen Freundes gebangt.
»Und pass auf, dass Bayard es nicht sieht«, mahnte Keelin, ehe er sich umwandte, um auf seinen Posten zurückzukehren »Katauren mögen ein Herz für Tiere haben, doch ist für einen Heermeister Sicherheit stets das oberste Gebot.«
Ajana nickte und strich dem Lavinci sanft über das weiche Fell, während sie Keelin voller Zuneigung nachschaute.
»Es wird dir nicht zur Last fallen«, hörte sie Faizah leise sagen. »Lavincis schlafen viel. Nimm meine Schultertasche, die ist es gewohnt – und auch die restlichen Pacunüsse.«
»Danke!« Ajana bückte sich, um die Tasche aufzuheben. »Ich werde für deinen kleinen Freund sorgen, bis …« Sie verstummte und hob alarmiert den Kopf. Nicht weit entfernt, dort, wo der Schein der Leuchtkörbe mit den Schatten verschmolz, hatte sich wieder etwas bewegt. Diesmal war sie sich ganz sicher.
Etwas oder jemand beobachtete sie, lautlos und unsichtbar wie ein Geist. Ajana hatte plötzlich das Gefühl, als glitte ihr eine eisige Hand den Nacken hinab. Regungslos stand sie da und starrte mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit, doch wie schon zuvor wiederholte sich die Bewegung nicht.
Sie atmete auf. Ihre überreizten Nerven schienen ihr wieder einen Streich zu spielen. Doch dann streifte ihr Blick wie zufällig das Lavinci. Das Baumhörnchen hatte aufgehört zu nagen. Die winzigen Ohren aufmerksam nach vorn gerichtet, starrte es ängstlich in die Richtung, in der sie eine Bewegung erspäht hatte.
Eine eisige Faust schien Ajanas Herz zu umklammern. Das Gefühl der Erleichterung, das sie zunächst verspürt hatte, wich schlagartig einer panischen Beklemmung, die sie zu ersticken drohte. Sie fühlte sich schutzlos ausgeliefert und sehnte sich nach den engen Gängen und Tunneln des Nachmittags, deren steinerne Wände eine gewisse Sicherheit verhießen.
»Was ist? Was hast du?« Faizahs besorgte Worte brachen den Bann, dennoch gelang es Ajana nur schwerlich, die Furcht aus ihrer Stimme fern zu halten, als sie erwiderte: »Es ist nichts. Ich bin nur etwas müde.«
Mit dem Lavinci kehrte Ajana zu ihrem Lager zurück. Doch auch wenn sie sich wieder hinlegte, wusste sie, dass sie keinen Schlaf mehr finden würde.
So weit das Auge reichte erstreckte sich die Nunou in alle Himmelsrichtungen, wie ein erstarrter Ozean, auf dem sich mächtige rote Wellen in gleichförmigen Mustern aneinander reihten.
Doch der Schein trog. Denn wie die Wellen der wogenden See waren auch die eindrucksvollen Gebilde aus Sand in ständiger Bewegung. Getrieben vom Wind, der hier oft als mächtiger Sandsturm tobte, wanderten sie im Verlauf vieler Winter langsam nach Westen.
Nach Westen!
Anao stand auf einer der zahllosen Sanddünen, beschattete die Augen mit der Hand und schaute blinzelnd dorthin, wo sich die rote Sonnenscheibe des Nachts zur Ruhe legte. Die Luft war kühl und klar und die Sicht so früh am Morgen besonders gut. Aber Anao war nicht zufrieden. Wohin sie auch blickte, überall gab es nur roten Sand und blauen Himmel. Das, wonach sie Ausschau hielt, konnte sie nirgends entdecken.
Mit vorsichtigen Schritten rutschte sie den lockeren Sand der Düne hinab und ging auf die drei Frauen zu, die sie
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