Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
wirres Zeug?«
»Die Frauen und Männer …«, der Knabe rang um Worte, »sie sind … sie wollen … Die Ältesten, sie … sie haben die ganze Nacht beraten. Sie … Man gibt Euch die Schuld an der verheerenden Niederlage und will Euch dafür zur Rechenschaft ziehen. Jetzt versammeln sich alle vor dem Palast, um über Euch zu richten.«
» Sie wollen über mich richten?« Vhara konnte nicht glauben was sie da hörte. Über sie, die uneingeschränkte Herrscherin der Uzoma, wollte man richten? Über sie, der das Volk bedingungslos ergeben war? Das war unmöglich!
Geschickt hatte sie in den Wintern ihrer Herrschaft ihre Macht ausgebaut, auf dass niemand es wagen würde, die Stimme gegen sie zu erheben. Die Wenigen, die es dennoch versucht hatten, hatten dies mit dem Leben bezahlt. Was der Knabe ihr berichtete, schien geradezu unfassbar. »Du lügst!«, schrie sie ihn an. »Das ist eine Lüge!« Außer sich vor Wut vollführte Vhara mit beiden Armen eine so bedrohliche Geste, dass sich der Knabe in Erwartung eines Hiebes duckte. Doch der befürchtete Schlag blieb aus. Der moosgrüne Reiseumhang der Priesterin bauschte sich, als sie sich umwandte. »Keiner dieser Feiglinge würde es je wagen, die Hand gegen mich zu erheben.« Mit schnellen Schritten ging sie in den Raum zurück, ohne den Knaben auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.
»Aber Herrin!« Panik schwang in der Stimme des jungen Uzoma mit. »Ihr könnt … Ihr dürft hier nicht länger …«
»Verschwinde«, fuhr Vhara ihn an. »Ich weiß nicht, wer dich mit dieser unglaublichen Lüge zu mir schickt, aber …«
In diesem Augenblick drang ein Lärm, der vom raschen Nahen einer aufgebrachten Menschenmenge kündete, durch den Gang. Stimmen und Rufe vermischten sich mit dem Scharren Dutzender Füße und dem Klirren von Waffen.
»Sie kommen!« Furcht schwang in der Stimme des Knaben mit. Selbst die dunkle Hautfarbe konnte die plötzliche Blässe in seinem Gesicht nicht verdecken. »Herrin, schnell. Ihr müsst …«
»Ich muss gar nichts!« Vhara straffte sich, nahm ihren Stab zur Hand, der auf dem Tisch lag, und kehrte zur Tür zurück, um die Herannahenden erhobenen Hauptes zu erwarten.
Das Lärmen nahm indes weiter zu.
»Herrin!« Der junge Uzoma unternahm einen letzten, schwachen Versuch, die Priesterin umzustimmen. Furchtsam warf er einen Blick über die Schulter, dann lief er so schnell er konnte davon.
Vhara rührte sich nicht. Ihr Gesicht schien zu einer Maske erstarrt, die nichts von den zwiespältigen Gefühlen in ihrem Innern preisgab.
Ein Teil ihres Selbst weigerte sich noch immer beharrlich, der Warnung des Knaben Glauben zu schenken. Sie war sogar jetzt noch tief davon überzeugt, dass kein Uzoma es wagen würde, sich gegen sie zu wenden. Doch das Anschwellen des wütenden Stimmengewirrs, das durch den Gang hallte, ließ Zweifel in ihr aufkommen, und eine leise Stimme flüsterte ihr zu, dass ihr Gefahr drohe.
Du bist allein.
Sie haben dich durchschaut!
Sie hassen dich!
Energisch kämpfte Vhara gegen den aufkommenden Argwohn und die Furcht an, die sich ihrer zu bemächtigen drohten, und sprach sich in Gedanken Mut zu: Sie würden es nicht wagen, sich gegen die Priesterin ihres Gottes zu erheben!
Doch die warnende Stimme gab keine Ruhe.
Sie sind verzweifelt!
Sie haben nichts zu verlieren!
Vhara spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.
Sie fürchten mich, hielt sie der aufsteigenden Angst entgegen – vergeblich!
Sie verachten dich!
Sie hassen dich!
Schweig! Vharas Hand krampfte sich so fest um ihren Stab, dass die Knöchel weiß hervortraten. Furcht war ein Gefühl, das sie bisher nicht zugelassen hatte. Auch jetzt würde sie sich nicht davon leiten lassen.
Sie werden es nicht wagen, die Hand gegen mich zu erheben … Langsam, fast trotzig formulierte sie den Gedanken, als genüge allein die feste Überzeugung, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Sobald ich den Stammesältesten von meinem Plan zur Befreiung des Heeres berichtet habe, wird sich der Groll gegen mich legen.
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende geführt, da verstummten die lautstarken Rufe. Offenbar hatte die aufgebrachte Menge die letzte Biegung des Ganges erreichte und zögerte weiterzugehen.
Sie haben Angst, triumphierte Vhara in Gedanken. Ein dünnes Lächeln huschte über ihre Lippen, und die Furcht vor dem, was auf sie zukommen mochte, wich ein Stück zurück.
In diesem Augenblick erblickte sie zwei Krieger der Tempelgarde, die den Gang
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