Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
kam schreiend aus dem Thowa gelaufen und fand ein jähes Ende, als ihm ein Pfeil das Herz durchbohrte. Auf der nahen Weide hieben und stachen mehrere Uzoma mit ihren Kurzschwertern auf die Pferde ein, während aus dem lichterloh brennenden Thowa die furchtbaren Schreie derer drangen, die nun darin eingesperrt waren …
»Aufhören!« Bayard atmete heftig, doch anders als Kruin hatte er sich so weit unter Kontrolle, dass er den drängenden Wunsch, sich auf die Hohepriesterin zu stürzen, unterdrücken konnte. »Ich kenne diese Bilder!«, stieß er hervor. »Es sind die Bilder, die mich Nacht für Nacht in meinen Träumen verfolgen. Bilder, die ich mir ausmale, um mich selbst damit zu quälen, damit ich niemals vergesse! Aber es sind nur Scheinwahrheiten. Niemand hat gesehen, was geschah, denn niemand hat das Massaker überlebt!«
»Scheinwahrheiten?« Vhara sprach ganz ruhig. »Es ist die reine Wahrheit!«
»Genug!« Mit blankgezogenem Kurzschwert trat Maylea neben die beiden Männer. »Was kümmern uns diese verlogenen Bilder!«, rief sie aus. »Wir sind gekommen, um die Hohepriesterin zu vernichten! Worauf warten wir noch?« Entschlossen machte sie ein paar Schritte auf Vhara zu.
»Oh, die Wunandmetze!« Vhara lächelte dünn. »Ich hätte nicht gedacht, dass du die Folgen der Folter überlebst. Wirklich erstaunlich. Deine Schwestern waren da längst nicht so zäh.«
»Meine Schwestern sind tot«, fuhr Maylea Vhara an. »Sie starben, wie sie es sich gewünscht hätten: beim Kampf um die Festung am Pass.«
»Hat man es dir wirklich so erzählt?« Vharas Stimme bekam einen fast mitleidigen Klang. »Ein heldenhafter Tod?« Sie schüttelte bedauernd den Kopf und hob die Hand. »Sie haben dich belogen, mein Kind. Alle! Diese angeblich so ehrenhaften Krieger haben dir die Wahrheit verschwiegen, um ihren Hals zu retten. Aber ich weiß, was wirklich geschehen ist, und ich werde es dir nicht vorenthalten, denn du hast ein Recht, es zu erfahren. Sieh her und erkenne, wie sie wirklich starben!«
Auf der schimmernden Fläche erschienen die weißen Gipfel des Pandarasgebirges und ein Spähtrupp, der sein Lager unter schützenden Bäumen aufgeschlagen hatte. Zwei Frauen lagen am Feuer und schliefen.
»Ylessa und Jamyde«, keuchte Maylea, die Augen wie gebannt auf das gerichtet, was sich im Lager abspielte. Alle anderen Schlafplätze waren verlassen. Ohne dass die Frauen es bemerkten, hatten sich die zehn Männer des Spähtrupps, Katauren, Onur und Fath, am Rand der Lichtung zusammengerottet und sprachen leise miteinander. Kurz darauf teilten sie sich in zwei Gruppen und schlichen grinsend auf die Kriegerinnen zu. Dann ging alles sehr schnell. Noch ehe eine der Frauen überhaupt bemerkte, was geschah, fielen die Männer über sie her und rissen ihnen die Kleider vom Leib. Was dann folgte, war ein Albtraum, der grausamer nicht hätte sein können.
Maylea fühlte sich wie gelähmt. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass Verbündete zu so etwas fähig wären.
»Das ist nicht wahr!« Außer sich vor Wut, ließ Bayard Kruin los. »Die Krieger der Vereinigten Stämme schänden keine Frauen! Niemals! Ich lasse es nicht zu, dass du die Ehrenhaftigkeit der Krieger mit solchen Lügen in den Schmutz ziehst!«, rief er mit zorngerötetem Gesicht. Angesichts der vermeintlichen Lügen, mit denen die Hohepriesterin aufwartete, gab es für ihn kein Halten mehr. Die Asnarklinge fest in den Händen, stürmte er auf Vhara zu.
»Bayard! Nein!« Inahwens Warnruf kam zu spät.
Ehe der Heermeister auch nur die Hälfte der Strecke zwischen sich und der Hohepriesterin zurückgelegt hatte, schoss unmittelbar vor ihm eine zischende Fontäne aus dem Boden und warf ihn in vollem Lauf von den Füßen. Ein gellender Schrei zerriss die Luft, die Asnarklinge wirbelte durch die Luft und fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, während die Fontäne nach nur wenigen Atemzügen so plötzlich verschwand, als hätte jemand ein Kerzenlicht gelöscht.
»Bayard!« Inahwen, Ajana und Maylea erreichten den Heermeister nahezu im gleichen Augeblick – und hielten erschüttert inne. Die wenigen Herzschläge, die der kochend heiße Dampf aus dem Erdinnern entwichen war, hatten dem Heermeister entsetzliche Verbrennungen zugefügt. Bart und Haare waren versengt, die dünne Kleidung hing in Fetzen.
Am schlimmsten jedoch hatte seine Haut gelitten. Das Gesicht, die Hände und auch die Beine des Katauren waren nur mehr eine grauenhaft entstellte Masse
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