Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Verluste zu beklagen. Dank Horus’ Hilfe hatten sie die Tiere bis zum Sonnenuntergang wieder zusammengetrieben. Und obwohl Bayard seinen Widerwillen gegen die gehörnten Höckerträger überwinden musste, war auch er erleichtert, dass keiner die Wüste zu Fuß durchqueren musste.
Wieder waren sie unterwegs, und wieder ging es weiter in Richtung Norden. Doch der Zauber, den die Wüste noch in der vergangenen Nacht auf Ajana ausgeübt hatte, war verflogen. Die Nunou hatte ihr wahres Gesicht gezeigt, ein erbarmungsloses und grausames Gesicht, das jederzeit wieder neue Opfer fordern konnte.
Immer wenn sie den Blick über die Dünen schweifen ließ, war es ihr, als beobachte sie ein schlafendes Raubtier, majestätisch und schön von Gestalt und doch gnadenlos tödlich, sobald es hungrig wurde.
Und wir sind die Beute! Der Gedanke ließ Ajana frösteln.
Um sich abzulenken, warf sie einen Blick in die Tasche, in der das Lavinci schlief. Sie hatte Faizah das Baumhörnchen zurückgeben wollen, doch La hatte sich energisch geweigert, sie zu verlassen. Wie durch ein Wunder war dem Tier während des Sandsturms nichts geschehen. Nur die Tasche war voller Sand gewesen. Ajana hatte sie ausgeschüttelt, und nachdem sich das Lavinci ausgiebig geputzt hatte, schlief es wieder tief und fest.
Ajana konnte nicht umhin, das Baumhörnchen zu beneiden. Keinem der Gruppe war es vergönnt, den verlorenen Schlaf nachzuholen. An eine gründliche Wäsche war erst recht nicht zu denken. Der Mangel an Wasser bereitete ihnen große Sorgen und zwang sie dazu, sehr sparsam mit den Vorräten umzugehen sowie noch schneller zu reiten, um wertvolle Zeit zu gewinnen.
Das gleichförmige Schaukeln ihres Talpungas hüllte Ajana ein und machte sie schläfrig. Zweimal schreckte sie jäh aus einem kurzen unruhigen Dämmerschlaf auf, weil sie fast heruntergefallen wäre. Ein anderes Mal warnte Keelin sie rechtzeitig, indem er sie wachrüttelte.
Der Morgen zog herauf. Doch selbst als die Sonne die ersten Strahlen über den Horizont schickte, ließen Bayard und Kruin die Talpungas forschen Schrittes weiterziehen. Obwohl sich die meisten nach den Strapazen des Sandsturms und des langen Ritts durch die Nacht nur noch mühsam zwischen den Höckern der Talpungas hielten, trieb er sie so lange zur Eile an, bis die Hitze derart unerträglich wurde, dass sie eine Rast einlegen mussten.
Inahwen, die von allen am wenigsten erschöpft wirkte, bot sich an, die Wache zu übernehmen, während sich die anderen im Schatten der Talpungas niederlegten und fast augenblicklich einschliefen.
Die Rast verlief ohne Zwischenfälle, und als sich die Sonne dem Horizont näherte, gab Bayard den Befehl zum Aufbruch.
»Wenn wir wieder so gut vorankommen wie in der vergangenen Nacht, können wir bei Sonnenaufgang die Orma-Hereth am Horizont sehen«, gab Kruin bekannt. Die Worte sollten Mut machen, doch Ajana überkam dabei ein ungutes Gefühl. Der rote Schein des Amuletts wies so unerschütterlich nach Norden, dass inzwischen niemand mehr daran zweifelte, dass die Hohepriesterin irgendwo in den feurigen Bergen Zuflucht gesucht hatte. Schon bald würden sie ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.
Und was dann? Die Frage schlich sich ohne ihr Zutun in ihre Gedanken und griff das auf, was sie schon lange beschäftigte: Wie sollten sie der mächtigen Hohepriesterin begegnen? Mit dem Schwert? Mit Pfeil und Bogen? Tief in ihrem Innern glaubte Ajana ein leises Lachen zu hören.
Mit Magie? Auch das war zweifelhaft, denn niemand außer Inahwen hatte eine magische Begabung.
Wirklich niemand?
Ajana war, als griffe eine eiserne Faust nach ihrem Herzen.
Glaubten die anderen etwa, die Macht der Runen könne der Hohepriesterin Einhalt gebieten? War dies die Hoffnung, die Bayard und Inahwen im Stillen für sich hegten? Was erwarteten sie?
Sie waren den feurigen Bergen schon sehr nahe, doch noch immer hatte keiner ein Wort darüber verloren, was geschehen würde, wenn sie am Ziel waren. So vieles lag im Dunkeln, und obwohl Ajana insgeheim noch immer daran glauben wollte, dass Bayard einen Plan hatte, wuchsen mit jedem Schritt ihres Talpungas die Zweifel.
Zumindest Kruin behielt mit seiner Vorhersage Recht. Als die Sonne aufging, erblickten sie die Umrisse der Orma-Hereth am Horizont. Dunkel und von gelblichen Wolken verhüllt, erhob sich die Vulkankette über der Wüste. Und mittendrin lag der Wnutu, ein gewaltiger Vulkan, dessen Krater die Wolkenschichten durchstieß und der
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