Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
wieder zu sehen, stimmte Ajana hoffnungsvoll und verdrängte die Sorge, dass ihre Heimkehr durch die unerwartete Wendung gefährdet sein könnte. Zwar wusste sie noch immer nicht, was die Vaughn wirklich beabsichtigten und wo das eigentliche Ziel der Reise lag, doch fühlte sie, dass es keinen Grund zur Besorgnis gab, wenn Inahwen der Aufforderung zu kommen so umgehend Folge leistete.
Da Bayard noch immer zu verärgert war, um mit ihr zu reden, und Keelin sich ganz seinem Falken widmete, nutze Ajana die Zeit, die Vaughn eingehend zu beobachten. Der Eindruck, dass es sich um Angehörige eines fremden Indianerstammes handeln könne, hatte sich in der Nacht durch das Verhalten der Krieger zunächst vertieft. Erst nachdem Ajana die riesenhaften Vögel gesehen hatte, die den Kriegern als Reit- und Lastentiere dienten, hatte sie ihre Meinung grundlegend geändert.
Die Angehörigen des kleinen Volkes waren weder Indianer noch sonst mit irgendeinem Stamm ihrer Welt vergleichbar. Selbst in Nymath schienen sie nahezu unbekannt. Keelin hatte etwas von einem Volk der Legenden gemurmelt, und Bayard, der erfahrene Kämpe, hatte sich den ungewöhnlichen Vaughn-Waffen gegenüber so ungeschickt angestellt, als stünde er diesen zum ersten Mal gegenüber.
Die Vaughn waren kleinwüchsig, strahlten jedoch eine Würde aus, die weit über das hinausging, was man auf den ersten Blick erkennen konnte. Eine Aura von Kraft und Weisheit umgab sie wie eine unsichtbare Hülle, und obwohl sie mit den gefärbten Gesichtern alles andere als freundlich wirkten, spürte Ajana vom ersten Augenblick an, dass sie von ihnen nichts zu befürchten hatten.
Eine ganze Weile grübelte sie vergeblich darüber nach, woher sie dieses Vertrauen nahm, dann gab sie es auf und schloss zu Bayard auf »Glaubt Ihr, dass es für Abbas und Maylea noch Hoffnung gibt?«, richtete sie eine Frage an ihn. Der Kataure schwieg nun schon so lange Zeit, dass sie nicht wirklich mit einer Antwort rechnete, doch zu ihrer großen Überraschung zeigte er sich dieses Mal gesprächsbereit.
»Das liegt allein in Asnars Händen.« Bayard seufzte und zog die Schultern hoch. »Besser, Ihr macht Euch nicht zu große Hoffnungen.«
»So viele, die mit uns aufgebrochen sind, sind nicht mehr bei uns«, sagte Ajana betrübt. Sie fühlte sich mit schuldig am Tod der Männer, die sie hatten beschützen sollen. »Trauert Ihr sehr um Toralf, Feanor, Salih und die anderen?«
»Ich habe schon zu viele sterben sehen, als dass ich noch Trauer empfinden könnte. Waffengefährten und Freunde. Meine Familie …« Bayard verstummte. Eine Weile sagte er nichts, dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen, als könne er die bitteren Erinnerungen so vertreiben, und fuhr leise fort: »Zu viel Leid für ein einzelnes, altes Herz.«
Ajana spürte, dass er noch mehr sagen wollte. Doch er gestattete es sich nicht. »Es … es tut mir Leid«, sagte sie leise.
»Das muss es nicht. Es ist schon lange her.« Der Heermeister seufzte. »Die Wahrheit ist, dass ich schon so viel Elend und Tod gesehen habe, dass ich der Trauer keinen Raum mehr lasse. Feanor, und Darval, Salih und Cirdan waren gute Männer. Toralf war mein Freund … Aber sie waren auch Krieger und starben als solche.«
»Es ist eine ungerechte Welt, in der so viele Menschen sterben müssen«, erwiderte Ajana.
»Ist die Welt, aus der Ihr kommt, denn gerechter?« Bayard sah sie aufmerksam an. Es war nicht zu übersehen, dass ihm die Antwort wichtig war.
Ja, wollte sie sagen, zögerte dann aber. Ist meine Welt wirklich gerechter?, überlegte sie. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich und fügte ausweichend hinzu: »Sie unterscheidet sich zu sehr von Nymath.«
»Gibt es dort keine Kriege?«, wollte Bayard wissen.
»Doch, schon, aber sie sind … anders.«
»Anders? Führt Ihr denn Kriege, ohne zu töten?«
»Ohne zu töten? Nein …« Ajana rang mit den Worten. Sie spürte, dass der Heermeister gern mehr erfahren wollte, doch wie sollte sie ihm verständlich machen, was Krieg in ihrer Welt bedeutete? Wie sollte sie einem Krieger, der dem Feind bei jedem einzelnen Kampf ins Auge geblickt hatte, den Einsatz und die Zerstörungskraft von Nuklearwaffen erklären, die ganz Nymath mit einem Schlag vernichten könnten? Wie ihm begreiflich machen, dass die Kriege in ihrer Heimat durch technologische Überlegenheit und nicht mit dem Mut einzelner tapferer Krieger gewonnen wurden? Nachdenklich nagte sie an der Unterlippe, während die Bilder
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