Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
und lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf das unmittelbare Geschehen rings um sie. Sogleich erkannte sie, dass sich etwas verändert hatte: Es war heller geworden. Weit voraus erspähte sie einen hellen Fleck, der von Sonnenlicht kündete.
Auch der Mahoui schien sich nach dem Licht zu sehnen. Wie die anderen Reitvögel hatte er seine Schritte zu einer ruppigen Gangart beschleunigt und ließ sich von dem Vaughnkrieger nur mühsam bändigen.
Ajana musste sich am Sattelknauf festhalten, um nicht herunterzurutschen, doch selbst das konnte ihre Freude nicht trüben. Sie war so froh, endlich wieder die Sonne zu sehen, dass sie sogar einen Mahoui-Galopp klaglos ertragen hätte.
Angesichts des Lichts gelang es ihr endlich auch, die trüben Gedanken zu zerstreuen. Eine Mahnung behielt sie jedoch für sich und verschloss sie wie einen Schwur tief in ihrem Herzen: »Du allein hast es in der Hand, wie dieser Weg für dich verläuft.«
Der Morgen nahte mit einem feurigen Glühen, das von Osten heraufzog und sich rasch über den ganze Himmel breitete. Die Sterne verblassten, und die Schatten flohen mit der eisigen Luft nach Westen, wo die Herrschaft der Nacht noch ungebrochen war.
Vhara erlebte die Berührung der ersten Sonnenstrahlen wie wärmende Hände, die angenehm über ihre kühlen Arme strichen. Sie hatte nicht geschlafen, hielt die Augen aber noch geschlossen und genoss das wunderbare Gefühl der erwachenden Sonnenglut.
Bis zum Einbruch der Nacht hatte der Raapir sie unermüdlich nach Nordwesten getragen. So schnell und mühelos, wie es kein Hengst je vermocht hätte, war die Echse über die Kämme der Sanddünen hinweg durch die Wüste geeilt, geradewegs auf das Ziel zu, das zu erreichen ihr Vhara in das niedere Bewusstsein gepflanzt hatte – die dunklen, von gelblichen Rauchwolken verhüllten Gipfel der Orma-Hereth.
Es war ein rasanter, aber auch beschwerlicher Ritt gewesen.
Zwar hatten die großen Fächer zu beiden Seiten des Echsenkopfes den Wind und die feinen Sandkörner von Vhara fern gehalten, die im Nacken der Echse zwischen zwei wulstigen Hautfalten einen sicheren Platz zum Sitzen gefunden hatte, doch die scharfkantigen Schuppen hatten ihr unter den dünnen Gewändern schon bald so schmerzhaft die Haut aufgescheuert, dass das Reiten nur noch schwer zu ertragen gewesen war. Als die Sonne ihre letzten Strahlen über den westlichen Horizont geschickt hatte, hatte sie das Gefühl gehabt, die Innenseiten ihrer Schenkel bestünden nur noch aus wundem Fleisch, und war erleichtert gewesen, dass die hereinbrechende Nacht ihr die Gelegenheit zu einer Rast bot.
Mit zunehmender Dunkelheit hatte sich die nächtliche Kälte auf die Wüste herabgesenkt und an der unerschöpflich anmutenden Kraft des Raapirs gezehrt. Anders als bei den warmblütigen Lagaren, die auch des Nachts noch rege waren und sogar zur Jagd ausflogen, waren die Bewegungen des Raapirs in Folge der schwindenden Wärme zusehends langsamer geworden, bis er schließlich in eine totenähnliche Starre gefallen war und sich nicht mehr hatte fortbewegen können.
Vhara hatte sich nahe dem Raapir ein wenig Ruhe gegönnt. Tief zu schlafen hatte sie nicht gewagt, denn das hätte die Gefahr in sich geborgen, dass sich die geistigen Fesseln lösten, mit denen sie den Raapir ihrem Willen unterworfen hatte – ein Wagnis, das nur allzu leicht tödlich enden konnte.
So hatte sie in dieser zweiten Nacht schlaflos in der Wüste ausgeharrt und fröstelnd auf den Augenblick gewartet, da die Sonne ihr endlich die ersehnte Wärme zurückbrachte.
Nun erhob Vhara sich, klopfte sich den Sand aus dem Gewand und richtete den Blick gen Nordwesten. Das gewaltige Felsmassiv der Orma-Hereth lag zum Greifen nah vor ihr. Nur ein kurzer Ritt trennte sie davon, die Früchte des Paktes zu ernten, den sie vor mehr als zwanzig Wintern mit der Serkse geschlossen hatte.
Aus den kraterähnlichen Bergspitzen stiegen Dutzende gelbliche Rauchsäulen senkrecht zum Himmel auf, und an den mit schwarzer Asche bedeckten Berghängen waren unzählige dünne Rauchfahnen zu sehen.
Die schwarzen Feuerberge waren nicht so hoch wie das Pandarasgebirge und anders als das fruchtbare Hochland im Süden karg und lebensfeindlich. Nirgends zeigte sich eine Spur von Grün, und kein einziger verdorrter Baum kündete davon, dass es hier jemals Leben gegeben hatte. Das riesige Gebiet war eine unwirtliche Gegend aus geschmolzenem und erkaltetem Gestein unter einer gelblichen Dunstglocke aus giftigen
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