Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
jedoch trug er nicht die Kunde über vergangene Ereignisse bei sich – sondern eine Einladung.«
»Eine Einladung?« Artis zog erstaunt eine Augenbraue in die Höhe. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jenseits der Berge jemanden gibt, der Wert auf unsere Gesellschaft legt oder sie gar anstrebt. Es sei denn …«, er zog das Kurzschwert aus der Scheide und hielt die blank polierte Klinge so, dass sich das Licht des Feuers blutrot darin spiegelte, »… die Uzoma haben Sehnsucht, die Schärfe unserer Schwerter zu spüren.«
Allgemeines Gelächter erfüllte den Raum, doch Gathorion hob die Hand und bat um Ruhe. »Dies ist nicht der rechte Augenblick für Scherze«, gemahnte er. »Die Lage ist bitter ernst.« Mit diesen Worten holte er die Botschaft des Falken unter seinem Umhang hervor und reichte sie an den Fath-Heermeister weiter, der zu seiner Rechten saß. »Lest selbst!«
Schweigen erfüllte den Raum, während die Botschaft von Hand zu Hand wanderte. Die Reaktionen der einzelnen Heerführer auf die Nachricht waren so unterschiedlich wie die Gesinnungen der Männer, die sich um den Tisch versammelt hatten. Einige wirkten überrascht und ungläubig, andere wiederum verärgert oder gar belustigt, als sei die Nachricht für sie nichts weiter als der Scherz eines Knaben.
Inahwen, die Gathorion zur Linken saß, kannte die Botschaft bereits, nahm sich aber dennoch die Zeit, die Zeilen noch einmal zu überfliegen, ehe sie das Leder an ihren Bruder zurückreichte. Ihre Miene blieb unergründlich, doch Gathorion wusste, wie tief die Nachricht des Falken sie bewegte.
»Nun, was haltet Ihr davon?«, richtete er eine Frage an die Heermeister.
»Eine Falle!«, rief Artis aus. »Ich sage, es ist eine Falle! Ein Tribunal!« Er schnaubte verächtlich. »Das ist nichts weiter als eine List der Uzoma. Ein lächerlicher Vorwand, um uns unserer Führung zu berauben.«
»Ich stimme Artis zu«, ergriff Tarun, ein Fath-Heermeister mit grauem Spitzbart und dunklem Turban, das Wort. »Die Vaughn, von denen in dieser Botschaft die Rede ist, gibt es doch nur in den Legenden. Weder Menschen noch Elben haben je einen Vertreter des kleinen Volkes zu Gesicht bekommen. Das Ganze kann nur eine List der Uzoma sein, die einzig dazu dient, uns zu schwächen.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Keiner der anwesenden Heermeister schien der Auffassung zu sein, dass auch nur ein Funken Wahrheit in dieser knappen Botschaft stecken könnte.
»Vernichtet und vergesst sie.« Meklun machte eine wegwerfende Handbewegung. »Diese verfluchten Uzoma können doch nicht im Ernst glauben, dass auch nur einer von uns in das beschriebene Tal des Pandarasgebirges kommen würde. Die freundliche Aufforderung auf dem Leder führt gewiss in einen Hinterhalt. Wenn die Uzoma uns nicht auf der Stelle töten, werden sie uns als Unterpfand nehmen, um den Vereinigten Stämmen Nahrung und Brennholz für ihr elendes Heer abzutrotzen.«
»Ich teile Euer Misstrauen«, ergriff Gathorion das Wort. »Und ich hege dieselben Zweifel wie Ihr. Ob die Botschaft der Wahrheit entspricht oder ob sie uns täuschen soll, vermag ich dennoch nicht zu beurteilen.«
»Eines wissen wir ganz sicher.« Inahwen erhob sich, stützte die Hände auf den Tisch und blickte die Heermeister nacheinander scharf an. »Wer immer diese Botschaft verfasste, hat Ajana, Bayard und den Falkner in seiner Gewalt. Ob als Gäste oder Gefangene, vermögen wir nicht zu sagen, aber wenn sie Gefangene sind, befinden sie sich in höchster Gefahr.«
»Und wenn schon!«, warf Meklun leichthin ein. »Wir dürfen das Leben unserer Heeresführung nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. Es ist schlimm genug, drei Angehörige der Vereinigten Stämme in den Händen der Uzoma zu wissen. Doch viel schlimmer wäre es, ihnen im blinden Vertrauen drei weitere Heerführer …«
»Das sehe ich anders.« Inahwen hielt dem Blick des obersten Falkners gelassen stand, der sie wegen der unhöflichen Unterbrechung missfallend anstarrte. »Wenn es wirklich die Uzoma sind, die diese drei in ihrer Gewalt haben, ist Nymath in höchster Gefahr. Denn sollten sie herausfinden, dass die Magie der Nebel über dem Arnad an das Leben der Nebelsängerin gebunden ist, werden sie Ajana auf der Stelle töten. Ihr Tod würde den Nebel unwiederbringlich zerstören. Er würde schwinden, so wie es schon einmal geschehen ist, doch dann gäbe es niemanden mehr, der ihn erneuern könnte. Der Sieg, den wir durch Ajana errungen haben, würde ein jähes
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