Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Dämpfen. In flachen Senken spiegelte sich das Sonnenlicht verheißungsvoll auf glänzenden Oberflächen, die ein dürstender Reisender für Wasser halten mochte. Doch Vhara wusste, dass die trüben Pfuhle nichts anderes waren als die todbringenden Überreste dessen, was die Erde hier in heißen, pulsierenden Stößen aus ihrem glühenden Innern hervorspie.
Inmitten dieser düsteren Berglandschaft erhob sich der Wnutu, ein mächtiger Vulkan, dessen Krater so gewaltig war, dass selbst das ausgedehnte Udnobe bequem darin Platz gefunden hätte. Im Gegensatz zu den benachbarten Vulkanen wirkte er friedlich und erloschen, doch die Dämpfe, die an unzähligen Stellen von seinen schwarzen Hängen aufstiegen, zeugten davon, dass die Erde auch in seinem Herzen nicht zur Ruhe kommen wollte.
Eben dieser Wnutu war ihr Ziel. Er war die Heimat der Serkse und zugleich auch die Quelle des Wehlfangs, der seine glühende Fracht weit im Süden in den schwarzen Ozean ergoss.
Der Wehlfang. Ein dünnes Lächeln umspielte Vharas Lippen, als sie sich den wohl durchdachten Plan in Erinnerung rief, den sie ersonnen hatte. Ein Plan, so unumstößlich und tödlich, dass kein Krieger Nymaths und keine Elbenmagie das nahende Unheil würde aufhalten können.
Das Lächeln der Hohepriesterin wurde eine Spur breiter, als sie sich in Gedanken ausmalte, welch furchtbare Szenen sich jenseits des Pandarasgebirges abspielen würden – und nicht nur dort. Sobald sie ihr Ziel erreicht hatte, würden auch die Uzoma ihren Zorn spüren. Die Stammesältesten in Udnobe mochten sich noch siegreich und in Sicherheit wähnen, doch nicht mehr lange, dann würden auch sie am eigenen Leib erfahren, was es hieß, sich eine Priesterin des dunklen Gottes zum Feind zu machen.
Ein plötzlicher Ruck durchfuhr Vharas Gedanken und ließ sie erbeben. Der Raapir erwachte.
Die Sonne hatte den Körper der großen Echse so weit erwärmt, dass sie sich träge bewegte. Steif und ungelenk drehte sie sich so, dass ihre Flanke nach Osten zeigte, um der Sonne eine größere Fläche zu bieten und die erstarrten Lebensgeister schneller zu wecken.
Die Bewegungen wirkten noch müde und schwerfällig. Doch so behäbig die Drehung auch anmutete, im Geiste war der Raapir bereits hellwach.
Wut, Hass, Blutgier und Mordlust …
Vhara spürte, wie die Instinkte der Echse gegen sie aufbegehrten. Der Raapir tobte und kämpfte mit aller Kraft gegen die Fesseln an, die sie um seinen Geist gelegt hatte. Er fühlte sich bedroht und angegriffen, war aber gleichzeitig auch verwirrt, weil er den Feind nicht ausmachen konnte. Die roten Fächer zu beiden Seiten des Kopfes drohend aufgerichtet, wandte er den Kopf langsam witternd hin und her, bereit, augenblicklich anzugreifen. Doch sosehr er auch suchte, er konnte den Ursprung seines Unbehagens nicht entdecken.
Vhara hatte die Unbeweglichkeit des Raapirs genutzt, um wieder auf seinen Rücken zu steigen. Um zu verhindern, dass er bockte und sich gegen die Nötigung wehrte, schaltete sie in seinem Bewusstsein gezielt alle Empfindungen aus, die ihn auf ihre Anwesenheit hinweisen könnten.
Doch selbst auf einer gezähmten Echse blieb der Ritt ein schwieriges Unterfangen. Wie schon beim ersten Abschnitt der Reise, musste Vhara auch an diesem Morgen den Großteil ihrer Kräfte darauf verwenden, die neu erstarkten, wilden Triebe des Raapirs im Zaum zu halten, um ihm erneut die Richtung des Ziels zu weisen.
Dazu kamen die Schmerzen.
Die wunden Stellen an ihrem Gesäß und an den Beinen hatten sich während der Nacht nur dürftig mit Schorf bedeckt. Die wenigen Heilmittel, die sie mit sich trug, vermochten zwar die Heilung zu beschleunigen und den Schmerz ein wenig zu lindern, gänzlich verschwinden lassen aber konnten sie die Wunden nicht.
Vhara biss die Zähne zusammen und suchte nach einer halbwegs erträglichen Position für den bevorstehenden Ritt, während sie mit den Händen nach einer Hautfalte im Nacken das Raapirs griff, die ihr etwas Halt geben sollte.
»Es ist nur noch ein kurzer Ritt«, sprach sie sich selbst Mut zu. Dann gab sie dem Raapir den Befehl loszulaufen.
Die Echse reagierte sofort. Froh, die vermeintliche Bedrohung hinter sich zu lassen, schoss sie pfeilschnell davon und trug die Hohepriesterin in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Wüste. Die Schritte der krallenbewehrten, viergliedrigen Füße wurden von dem weichen Sand zunächst noch abgefedert, sodass Vhara kaum Erschütterungen spürte, aber je näher sie den
Weitere Kostenlose Bücher