Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
seinem Namen einzufordern, was dereinst besiegelt wurde.«
»Ein wahrhaft lächerlicher Preis dafür, dass mein Meister dich und dein Reich verschont – nicht wahr?« Vhara nickte, schaute sich um und fragte gereizt: »Im Laufe der Winter dürften einige Dutzend zusammengekommen sein. Wo sind sie?«
»Sie sind hier!« Die Serkse breitete die Arme aus und deutete nach unten. »Der Wehlfang ist ihre Heimat. Ihre Körper sind verbrannt und zu Asche zerfallen, doch die Seelen …«
»Ich bin nicht gekommen, um lange, unsinnige Reden mit dir zu führen.« Vhara machte eine ungeduldige Handbewegung. »Die Vereinbarung sieht vor, dass du mir ein Heer von Kriegern stellst.« Ihre Stimme wurde noch eine Spur schärfer, als sie hinzufügte: »Krieger und nicht die Seelen der Verdammten, die ihr elendes Leben im Feuer des Wehlfangs aushauchten. Also, wo sind sie?«
»Nicht Schlachten allein, auch Ungeduld und Übereifer sind allzu oft eine Quelle des Verderbens«, erwiderte die Serkse herrisch. Ehe Vhara darauf etwas erwidern konnte, hob sie die Arme und murmelte mit geschlossenen Augen Worte, die die Hohepriesterin nicht verstehen konnte.
Wieder erklang das dumpfe Grollen, das Vhara schon einmal gehört hatte. Doch diesmal war es lauter und schien noch näher zu sein. Unter ihren Füßen spürte sie, wie der Fels erbebte, und sah feinen Staub von der Höhlendecke herabrieseln, während unmittelbar hinter ihr das hässliche Geräusch von berstendem Stein ertönte. Mit einer jähen Bewegung wirbelte sie herum und sah, wie sich ein klaffender Riss mit rasender Geschwindigkeit quer durch den Sims zog.
Vier Schritte trennten Vhara vom rettenden Ufer, eine Spanne, die in der verbleibenden Zeit unmöglich überwunden werden konnte. Schon neigte sich der Sims ächzend zur Seite. Kleine Steine versanken zischend in der Glut des Wehlfangs, während die feinen Verästelungen, die dem Riss vorauseilten, die gegenüberliegende Seite des Simses erreichten. Das Rumoren aus den Tiefen des Berges mischte sich mit dem Krächzen des verglühenden Gesteins, und über allem lag das schallende Gelächter der Serkse, die Vharas scheinbar aussichtslose Lage genoss.
Ohne auch nur einen einzigen Schritt zu tun, bewegte Vhara sich blitzartig von dem Sims fort. Für den Bruchteil eines Augenblicks verschwand ihre Gestalt wie von Geisterhand, um gleich darauf am sicheren Ufer wieder zu erscheinen.
Der rettende Zauber kam keinen Augenblick zu früh. Kaum, dass Vhara ihren Fuß auf festen Boden setzte, brach der Sims vollends ab und versank unter brodelndem Zischen in dem flüssigen Feuer.
»Ein nettes Kunststück.« Das Lachen der Serkse erstarb.
Vhara, die das magische Kunststück alle verbliebene Kraft gekostet hatte, hörte den Spott in ihrer Stimme selbst über das Tosen hinweg, das die Höhle erfüllte. Um Atem ringend, stand sie am Ufer des Wehlfangs und lauschte dem unablässigen Dröhnen und Donnern, das den Berg erzittern ließ. Das Beben riss schwarze Gesteinsbrocken von der Decke, die krachend zu Boden fielen oder schäumend in den glutheißen Fluten versanken. Es war, als ginge die unterirdische Welt in dem Chaos aus berstenden Steinen, spritzender Glut und gelben Dämpfen unter.
Dann hörte sie ein Kreischen.
Es war ein grässlicher Laut, so abscheulich, wie kein sterbliches Wesen ihn hervorzubringen vermochte, und so schrill, dass selbst Vhara bis ins Mark erzitterte. Sie presste beide Hände auf die Ohren, doch auch das vermochte dem ohrenbetäubenden Klang keinen Einhalt zu gebieten. Die durchdringenden körperlosen Schreie drangen von überall her auf sie ein und bestürmten selbst ihre Gedanken.
Mit jedem Augenblick, der verstrich, schwollen sie weiter an und vereinten sich mit dem Wüten der Elemente zu einem Furcht erregenden Chor gemarterter Seelen, die ihr unsägliches Leid in das feurige Zwielicht der Höhle herausschrieen.
Niemals zuvor hatte Vhara etwas ähnlich Schreckliches erlebt. Gerade als sie glaubte, es nicht länger ertragen zu können, veränderte sich etwas. Während die Erschütterungen im Boden langsam verebbten, schwangen in dem Kreischen und Heulen andere, neue Töne mit. Zunächst noch sanft wie ein Windhauch, doch bald immer lauter werdend, strich ein tiefes vielstimmiges Seufzen durch die Höhle und trug die Schreie mit sich fort, während die letzten Gesteinsbrocken auf dem Höhlenboden zerbarsten.
Dann war es still. Totenstill … Selbst das unablässige Brodeln und Zischen des Wehlfangs schien
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