Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Grund hatte sie ihn nicht anrufen wollen. Sie wusste, dass er sie einschüchtern und ihr Schuldgefühl, das ohnehin ziemlich groß war, nur noch verstärken würde.
»Hör mal, Dan …«, begann sie.
»Cari, du fehlst mir«, sagte er hastig. »Es wäre so schön, wenn du wieder bei mir wärst. Wann kommst du nach Hause?«
Nach Hause … Sie seufzte. »Ich weiß nicht.« Es war schon spät. Ein paar Männer traten aus der hell erleuchteten Bar und verabschiedeten sich gut gelaunt voneinander. Ciao. Ciao .
»Du weißt es nicht? Was soll das heißen?«
Es war um so vieles schwieriger, als er überhaupt ahnen konnte. »Dan, das hier ist nicht nur ein Erholungsurlaub«, erklärte sie.
»Hängt es mit Marco zusammen, diesem Mistkerl?«, fragte er bitter. »Ja? Möchtest du deshalb in Italien bleiben? Bist du …?«
»Nein«, unterbrach sie ihn. Sie wollte ihn nicht anlügen müssen. »Ich bleibe hier, weil ich mit meiner Großmutter zusammen sein möchte.« Genau. Und mit den anderen. Ja, auch mit Marco.
»Aber du musst doch wissen, für wie lange?« Womit er, zugegebenermaßen, Recht hatte.
»Außerdem schneidere ich gerade ein Hochzeitskleid.«
»Wie bitte?«
Cari starrte in die Dunkelheit. Nachdem eine Wolke über den Mond geeilt war, leuchtete er nun wieder voll und erhellte das Wasser im Springbrunnen sowie die mattgrauen Blätter des Olivenbaums. Es war bereits Juni. Wollte sie den Sommer in Italien verbringen?
»Hör mal, das ist alles ziemlich kompliziert. Ich kann es jetzt nicht erklären.« Sie wollte nur eines: das Gespräch beenden. Pronto. »Ich muss zurück. Es ist schon spät.«
»Ist er dort?«
Sie seufzte. »Nein.«
»Bist du allein?« Er klang besorgt. »Kannst du dir ein Taxi nehmen?«
Sie lachte. »Ich glaube kaum, dass es hier Taxis gibt. Und wenn, muss man sie vermutlich eine Woche vorher bestellen.« Wieder verließ jemand die Bar und winkte ihr freundlich zu. Sie winkte zurück. »Aber ich bin hier vollkommen sicher. Mach dir keine Sorgen!«
»Gib mir die Nummer von deiner Großmutter. Ich rufe dich an.« Er sprach schnell, als fürchte er, dass sie die Verbindung abbrach und ihn nie wieder anrief. »Nenn sie mir, Cari. Los.« Doch ihr missfiel sein fordernder Ton.
»Nein.« Pause. »Das heißt, ich weiß sie nicht, Dan.« Was natürlich nicht stimmte.
Sie hörte, wie er nach Atem rang. »Dan?«
»Gib mir die Nummer, Cari!«
Die Leitung schien gestört zu sein. Sie warf weitere Münzen in den Schlitz. »Es ist aus zwischen uns, Dan«, erklärte sie. »Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Aber falls ich es tue, werden wir kein Paar mehr sein.« Sie schwieg in Erwartung eines Wutanfalls am anderen Ende der Leitung. Nichts. »Dan?«
Die Stille wurde ersetzt durch den Wählton. Hatte er sie gehört? War die Botschaft bei ihm angekommen? »Es tut mir leid, Dan«, flüsterte sie in den Hörer. »Ich wollte dich niemals verletzen.«
K
apitel 33
Am Nachmittag des darauffolgenden Tages – Cari stand in der Küche von La Sirena – klingelte das Telefon.
Aurelia nahm den Hörer ab. »Un momento per favore«, sagte sie und reichte Cari den Handapparat.
»Ciao«, sagte er.
» Ciao, Marco.« Cari konnte das urplötzliche Verlangen, das sie beim Klang seiner Stimme überfiel, kaum unterdrücken. Jetzt war er es, der sich anhörte, als sei er ganz nah. Überhaupt nicht unerreichbar. Seine Stimme war ihr so vertraut. Sie setzte sich an den großen Eichentisch und bemerkte, dass Aurelia zögernd die Küche verließ. War es so offensichtlich?
»Ich habe gehört, dass du eine Weile in Ligurien bleibst«, sagte er. »Stimmt das?«
»Ja.« Sie runzelte die Stirn. »Woher weißt du das?«
Er lachte. »Unser Dorf ist klein, und die Gerüchteküche brodelt hier umso stärker.«
Hmm. Sie überlegte. Spionierte er ihr nach? Oder kannte er ihre Familie besser, als sie dachte?
»Und vermutlich«, fuhr er fort, »bleibst du nur wegen des Hochzeitskleides hier, sì ?«
»Weshalb sonst?« Sie presste den Hörer stärker an ihr Ohr. Oder wegen wem sonst …? Ach, Marco! Ein Flirt war etwas Wundervolles, und es gab nichts dagegen einzuwenden, aber wann würde sie Antworten erhalten?
»Oh!« Er seufzte mit der für Italiener wohlbekannten Theatralik. »Ich hatte gehofft …«
»Wirklich?« Cari stand auf und stellte sich an die geöffnete Tür. Wie friedlich es an diesem Nachmittag im Park von La Sirena war! Neben dem zarten Rauschen der Wellen war nur das Summen der Insekten zu hören, die
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