Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
seinen verdammten Flügel und sein verdammtes Foto zu. Ohne Zweifel.
»Und dann …« Er warf ihr die Worte über die Schulter entgegen. »Und dann sehen wir weiter.«
Cari rief Dan von der Telefonzelle im Dorf an. Sie wollte ungestört sein und hatte außerdem ihr Handy am Tag ihrer Ankunft in Italien ausgeschaltet. Niemand in England sollte mit ihr Verbindung aufnehmen können. Sie brauchte Abstand.
»Dan?« Sie hatte beinahe angenommen, dass er zu dieser Tageszeit nicht erreichbar wäre. Sie sah auf die Uhr. Zweiundzwanzig Uhr dreißig. In Italien waren sie eine Stunde weiter.
»Cari! Hallo, Süße!«
Er klang so fröhlich, so erfreut, etwas von ihr zu hören, dass sie sich erneut schuldig fühlte. Wie sehr hatte sie sich erhofft, dass sich ihre Beziehung auch für ihn gemäß dem Sprichwort »aus den Augen, aus dem Sinn« entwickeln würde!
»Was ist passiert? Wo bist du?«
»Das errätst du nie.« Sie warf einen Blick aus der hell erleuchteten Telefonzelle in die dunkle Nacht. Sie befand sich im Augenblick auf der Piazza des Dorfes – dem Platz, den Marco ihr in Brighton beschrieben hatte – mit dem Olivenbaum und dem Brunnen. Und der Telefonzelle.
»Na, dann versuche ich es gar nicht erst. Also wo?«
»Ich bin in einem Dorf namens Aurelia.« Sie bemühte sich, den Namen wie die Italiener auszusprechen: Starke Betonung auf der zweiten Silbe, die in einem duftigen Schnörkel ausläuft. Mmh, klang gar nicht mal schlecht!
»Wie bitte?«
»Du hast richtig gehört!« Sie lächelte. Immer noch saßen einige Leute in der Bar auf der anderen Seite des Platzes, tranken Grappa und Espresso, rauchten und spielten Karten. Als habe jemand die Zeit zurückgedreht.
»Wahrscheinlich nach deiner Großmutter benannt, oder?« Er lachte. Dennoch war sein Groll unüberhörbar. Vermutlich weil sie kein Interesse daran gehabt hatte, mit ihm in Verbindung zu bleiben. Sie zuckte die Achseln. Sie hatte versucht, ihre Beziehung vor ihrer Abreise nach Italien zu beenden, aber Dan war darauf nicht eingegangen.
»Vermutlich nur das Aufeinandertreffen verschiedener Ereignisse«, entgegnete sie. Ein weiterer jener eigentümlichen Zufälle, die sich anscheinend ohne eigenes Zutun an ihre Familie hefteten. Familie. Cari durchströmte ein freudiges Gefühl. Sie hatte eine Familie … »Aber sie lebt hier.«
»Du hast sie ausfindig gemacht?« Seine Worte kamen so klar, als sei er hier im Dorf. Doch gleichzeitig schien er tausend Meilen entfernt zu sein, denn seine Stimme erreichte sie nicht, löste kein Gefühl in ihr aus. Er war jetzt ganz weit weg – als wäre er ein Fremder. England und Dan schienen zu einem anderen Leben zu gehören, zu einer anderen Cari. Hatte Italien sich durchgesetzt? Italien, ihre Großmutter und Marco …?
»Nicht nur das«, antwortete sie. »Ich wohne auch bei ihr.« Das zarte Plätschern des Springbrunnens sowie Lachsalven von der Bar drangen zu ihr herüber.
»Du schwindelst!«
»Nein. Es ist wahr.« Siehst du, ich habe Recht behalten. Obgleich seine Worte sie nach wie vor trafen. Wäre es nach Dan gegangen, wäre sie niemals hierher gefahren und säße immer noch in Brighton. Sie hätte weder ihre Großmutter kennengelernt noch einen Auftrag für den Entwurf eines umwerfenden, scharlachroten, mit Perlen bestickten Hochzeitskleides bekommen. Cari grinste, als sie an Elenas entsetztes Gesicht dachte. »Scharlachrot? Niemals!«
Und Carmellas Entschlossenheit. »Es ist meine Hochzeit. Und ich möchte in Scharlachrot heiraten. Oder …« Sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt und den Kopf in den Nacken geworfen. »Oder wir sagen die Hochzeit ab.«
»Und wie hast du sie gefunden?«, bohrte Dan weiter. »Über eine Kontaktanzeige?«
Du lieber Himmel! Cari holte tief Luft und nahm allen Mut zusammen. »Ich bin Marco begegnet«, sagte sie. »Und er kennt sie zufällig. Gewissermaßen.« Na ja, gewissermaßen …
»Marco?«
»Ja.« Sie hörte es an seiner Stimme – und er hatte ja Recht: Die Geschichte klang von vorn bis hinten an den Haaren herbeigezogen. Sie blickte auf den Platz, der jetzt dunkler wirkte als zuvor. Sie sollte besser zu La Sirena zurückfahren.
»Habt ihr euch hier in Brighton abgesprochen, euch zufällig in Italien zu treffen?«
»Nein, wie kommst du denn darauf?« Sie wechselte den Hörer auf das andere Ohr und warf ein paar Münzen nach. »Er wohnt in der Nähe. Purer Zufall.« Noch ein seltsamer Zufall.
»Ja. Verstehe.«
Das führte nirgendwohin. Und genau aus diesem
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