Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
perfekten Sturzflug auf ihre Beute stürzte.
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie Kontakt miteinander hatten«, sagte Cari. »Vermutlich war ihr Anblick ein Schock für Mum. So hat sie es auch gegenüber Edward ausgedrückt.«
Aurelia schauderte. »War das alles, was sie gesagt hat?«, fragte sie leise.
Da war also etwas gewesen! Und was hatte sie damit aufgedeckt? Cari nahm ihre Großmutter am Arm und führte sie zur Bank zurück. »Nur, dass sie sich unterhalten hätten«, antwortete Cari. Edward hatte ihr erzählt, Tasmin habe high geklungen und total abgefahren. Was vermutlich auf die Droge zurückzuführen war. Zu dem Zeitpunkt hatte sie die Pille bereits geschluckt gehabt. Es ist an der Zeit, etwas zu verändern , hatte sie zu ihm gesagt. Waren das die Worte eines suizidgefährdeten Menschen? Fragte sich nur, welche Veränderungen.
Sie erzählte es Aurelia, bemühte sich, sie zu beruhigen, und hoffte, die Sache damit nicht etwa noch zu verschlimmern.
»Hat sie oft Ecstasy genommen?«, wollte Aurelia wissen. Ohne ihre Sonnenbrille wirkte sie irgendwie noch verwundbarer. Doch ihre Augen waren klar. Cari war sich bewusst, dass sie ihr die Wahrheit sagen musste.
»Sie hat hin und wieder andere Drogen geschluckt«, antwortete sie. »Gelegentlich Kokain, auf Partys Marihuana.«
Aurelia zuckte zusammen. »Aber kein Ecstasy?«
»Nicht, soweit ich weiß. Nein, ich glaube nicht.« Davon war in ihrem Tagebuch nie die Rede. Tasmin war keinesfalls jemand, den Cari als gewohnheitsmäßige Drogenkonsumentin bezeichnen würde. Offenbar nahm sie das Zeug, wenn es verfügbar war. Ob sie sich dadurch vielleicht an depressiven Tagen besser gefühlt hatte? Möglicherweise hatte es ihr den Eindruck verschafft, das Leben sei schön.
Was mochte Aurelia denken? Dass Gail ihr die Droge gegeben hatte? Niemand hatte sich dazu geäußert – aber das würde vermutlich auch niemand tun, oder?
Aurelia blickte immer noch hinüber zum Teich. Die Mischung – der süße Duft des Jasmins, die summenden Insekten und das sanfte Plätschern des Wassers – wirkte normalerweise einschläfernd, doch im Augenblick fühlte Cari sich hellwach. »Was?«, fragte sie. »Was ist es? Du musst es mir sagen!« Warum ist es oft so schwierig, hinter die Wahrheit zu kommen?
Aurelia hatte sich offenbar entschieden. »Mein Mann hat sie sexuell missbraucht«, gestand sie. »Sie war damals erst fünfzehn.«
Cari starrte sie entgeistert an. Sie spürte plötzlich einen Druck im Kopf, als habe man ihr ein Eisenband umgelegt und es immer enger gezogen … Einen Augenblick nahmen die schrecklichsten Ängste vor ihren Augen Gestalt an. »Gail?«, flüsterte sie.
Aurelia nickte. »Ich bin genau in dem Augenblick hinzugekommen. Er hat sofort von ihr abgelassen. Tasmin hat es nie erfahren.«
»Weshalb nicht?« Cari schrie, obwohl sie es nicht beabsichtigt hatte.
Ihre Großmutter zuckte zusammen. »Sie hat ihn angebetet«, sagte sie. »Verstehst du? Ich konnte es ihr nicht erzählen. Es hätte ihr das Herz gebrochen.«
K
apitel 34
An diesem Abend stieg Aurelia nach dem Essen die ausgetretenen Steinstufen zur Bucht hinunter. Sie wollte ein wenig allein sein, und die Nacht war dafür wie geschaffen.
Beim Tor hielt sie inne. Der fast volle Mond warf seinen hellen Schein aufs Wasser und glitzerte auf den Wellen, die gegen den Strand brandeten. Aurelia konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal nachts schwimmen gewesen war. Früher waren sie und Enrico an milden Sommerabenden oft in die Bucht hinabgegangen, aber wie lange hatte er sie nun schon nicht mehr begleitet?
Behutsam setzte sie Fuß vor Fuß. Cari hatte gesagt, sie würde sich mit Marco treffen. Wer war dieser Marco? Sollte es ihr nicht zu denken geben, dass sie ihm nie begegnete? Sollte sie vielleicht Elena, Rosa oder Maria nach ihm fragen? Oder mischte sie sich da in Sachen ein, die sie nichts angingen? Nein, sie würde sich jetzt keine Sorgen machen. Allerdings kam ihr der Ausdruck auf Caris Gesicht nur allzu bekannt vor …
Aurelia breitete ihr Handtuch auf den Kieseln aus, die immer noch warm waren von der Hitze des Tages. Es war nicht so einfach, plötzlich mit fünfundsiebzig Großmutter zu werden, noch dazu, wenn die Enkelin bereits auf die dreißig zuging. Cari war erwachsen und konnte hervorragend auf sich selbst aufpassen. Aber in einer Familie kümmerte sich einer um den anderen – vor allem in Italien. Und das wollte Aurelia für Cari tun.
Sie streifte die Träger ihres
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