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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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geblümten Kleides von den Schultern und ließ es zu Boden gleiten. Früher einmal hatte sie hier nackt gebadet, da die Bucht völlig abgeschieden lag, aber es wäre ihr unangenehm, wenn Cari oder Enrico – oder vielleicht sogar Elena – plötzlich auftauchen und sie im Evaskostüm ertappen würden. Meine Güte, das würde sie bestimmt schockieren! In ihrem Alter … Sie lachte in sich hinein. Doch warum sollte ihr das etwas ausmachen?
    Vielleicht weil ihr Körper ihr keinen sinnlichen Genuss mehr bereitete. Wie lange mochte es her sein, dass sie und Enrico …? Getrennte Schlafzimmer? Worauf würde es am Ende hinauslaufen? Auf getrennte Wege? Meinte er letztendlich das? Die meisten Leute dachten wahrscheinlich, dass sie sich mit Dingen wie Sex nicht mehr abgaben; vielleicht war es vielen Menschen über siebzig auch egal. Aurelia wusste es nicht. Aber ihr Sexualleben war immer gut gewesen. Leidenschaftlich und doch sanft. Und das vermisste sie, das Gehaltenwerden, die Nähe, die Vertrautheit. Schon vor langer Zeit war daraus Liebe geworden. Warum nur hatte sie es stets geleugnet?
    Jedenfalls trug sie unter dem Kleid ihren blauen Badeanzug. Sie legte das Kleid ordentlich gefaltet neben die Sandalen und trat zögernd ans Wasser. Die Steine bohrten sich in ihre Fußsohlen, doch die waren daran gewöhnt. Aurelia musste lächeln. Auch ihre Seele hatte sich eine Hornhaut zugelegt.
    Hatte sie sich heute Abend Cari gegenüber richtig verhalten? Hätte sie ihr vielleicht lieber nichts von Richard und Gail erzählen sollen? Die Arme seitlich ausgestreckt, wappnete sich Aurelia für den Schritt ins Wasser. Sie hatte immer geglaubt, dass sie es keiner Menschenseele je anvertrauen würde. Wenn sie nicht davon sprach, so hatte sie gehofft, würden die Bilder eines Tages aus ihrem Gedächtnis getilgt werden. Aber das war nicht geschehen, und Cari hatte es verdient, die Wahrheit zu erfahren.
    Brrr! Sie zuckte zusammen, als das kalte Wasser über ihre Füße spülte. Aurelia sah hinauf zum Mond. Es grenzte an Verrücktheit, wenn man in ihrem Alter noch nachts allein schwimmen ging, oder?
    Niemals würde sie Gails Augen vergessen. Dieses Bild hatte sich tief in ihr Bewusstsein gegraben. Sie watete tiefer ins Wasser. Die Wellen liebkosten ihre Schenkel.
    Das Mädchen hatte in einer Ecke der Küche neben dem Kühlschrank gestanden. Richard dicht vor ihr, mit dem Rücken zu Aurelia, die wie angewurzelt in der Tür verharrte, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen.
    Aurelia hatte die Situation mit einem Blick erfasst, beinahe als habe sie dies schon einmal erlebt (was in gewisser Weise zutraf, damals, mit Janey) oder als habe sie damit gerechnet (und das hatte sie wohl auch, denn in diesem Haus hatte seit Wochen eine Zeitbombe getickt).
    Aurelia beugte sich vor, als wollte sie das Wasser umarmen, schöpfte es mit der hohlen Hand und spritzte ein wenig auf den Oberkörper. Es fühlte sich nun wärmer an, weicher, wie eine Decke, in die sie sich hineinschmiegen, einsinken, eintauchen konnte.
    Im Blick des Mädchens hatte Angst gelegen – die Augen eines Kindes, das vorgab, erwachsen zu sein. Und die gesamte Situation … Gail in einem kurzen Rock und einem knappen Top, das nichts der Phantasie überließ, und Richards keuchender Atem … Bestimmt hatte er getrunken, denn er trank immer. Gail hatte es bloß für ein Spiel gehalten (und bisher war es auch ein Spiel gewesen, aber die Bombe hatte die ganze Zeit getickt), ein Erwachsenenspiel, das sie auf sicherem Terrain mit dem Vater einer Freundin spielen konnte.
    Doch plötzlich hatte sich etwas verändert, und unbemerkt war aus dem Spiel Ernst geworden.
    Aurelia tauchte in die Wellen. Auf einen Moment des Schreckens folgte Erleichterung, und schon wurde sie vom Wasser getragen.
    Im Bruchteil einer Sekunde hatte Richard eine Hand auf Gails Brust gelegt, während die andere wie eine Schlange unter ihren Rock geglitten war.
    Gail schluckte fassungslos. »Ich glaube, das sollten Sie nicht tun, Mr Banks.« Ihre Stimme klang dünn und hoch. Sie trat den Rückzug an, aber der Kühlschrank versperrte ihr den Weg. Sie war gefangen.
    »Sag doch Richard zu mir! Gefällt es dir nicht? Ich könnte dir beibringen …«
    »Nein …!«
    Aurelia erwachte aus ihrer Erstarrung. Hoch erhobenen Hauptes trat sie in die Küche. Ein Störenfried, kochend vor Wut. Jetzt sahen beide erschrocken aus.
    Richard hatte sich mit dem Handrücken den Mund abgewischt und gesagt: »Sie hat’s ja drauf angelegt.

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