Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Helles Hemd, dunkle Haut. Sie sah, wie sich seine glatte, sonnengebräunte Brust hob und senkte, und die Erinnerung traf sie wie ein Peitschenhieb. Sie war wehrlos dagegen … Sein Geruch, als sie in jener Nacht ihr Gesicht an seine Brust gepresst hatte. Seine warme Haut, sein Herzschlag an ihrer Wange, während ihn ihre Wimpern wie die zarten Flügel eines Schmetterlings liebkost hatten. Vollkommener Friede. Ein Anfang, hatte sie gedacht. Ihr gemeinsamer Anfang.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich es hören will«, antwortete sie.
Er nahm ihre Hand. »Vertrau mir, Cari!«
Ihm vertrauen. Ihm vertrauen …? Wie viele Male hatte er diese Worte schon gesagt?
»Weißt du – ich muss es dir einfach erzählen.«
K
apitel 41
»Es ist wahr«, begann Marco, »dass ich nach England gekommen bin, um deine Familie ausfindig zu machen.«
Dieses Eingeständnis stellte Cari keineswegs zufrieden. Nachdem sie ihn mit Dans Erkenntnissen konfrontiert hatte, konnte er es schließlich kaum leugnen. Sie wusste jetzt, dass alles nur eine Lüge gewesen war. Jeder Kuss, jede Berührung, jedes geflüsterte Wort. Hätte sie lieber bei Dan bleiben sollen? Nein, natürlich nicht. Er bedeutete ihr zu wenig. Aber dieser verflixte Marco Timpone hatte ihr viel zu viel bedeutet.
»Warum?«, fragte sie ihn. Sie saßen vor dem Café auf der Piazza. Marco hatte sich eine Goldbrasse, orata , mit schwarzen Oliven und Kartoffeln bestellt, während sich Cari für Tagliatelle mit porcini , Steinpilzen, entschieden hatte. Eigentlich verspürte sie gar keinen Hunger. Sie wollte zuhören, wollte wissen, worum es hier ging. Gleichzeitig jedoch wäre sie am liebsten aufgesprungen und davongelaufen. Was war nur los mit ihr? War sie nun an der Wahrheit interessiert oder nicht? Cari brachte die Stimmen in ihrem Innern zum Schweigen. Sie würde sich eben nur so viel anhören, wie sie ertragen konnte. Und immerhin saß sie ja hier …
»Meiner Großmutter zuliebe habe ich eine Spur weiterverfolgt, die bereits kalt geworden war«, sagte Marco.
»Was hat deine Großmutter damit zu tun?«, fragte Cari kühl.
Er sah ihr in die Augen. »Du weißt Bescheid über die Familienfehde zwischen den Bianchis und den Timpones?« Seine Stimme klang weich. Er behandelte Cari mit Vorsicht, ging behutsam vor.
Sie funkelte ihn an. »Oh, ja, natürlich, es hat sich herumgesprochen!« Sie hatte es wirklich satt. Es war so lächerlich, sich wegen einer Sache zu streiten, die bereits Jahrhunderte zurücklag! Standen die Italiener nicht in dem Ruf, ein so unbeschwerter Menschenschlag zu sein? Es stimmte offensichtlich nicht.
»Das«, versicherte er ihr, »war nur der Anfang.«
Cari nahm einen Schluck Wein. Was würde denn noch kommen? Welcher alte Römer mochte welcher ligurischen Familie Rache geschworen haben? Wer hatte wen geheiratet und wer war gestorben? Welche Geschichte war hier zum Familienmythos hochstilisiert und von jeder Generation fleißig weitergetragen worden, um den Nachfahren einen legitimen Grund zu geben, sich weiterhin zu hassen?
»Hat Elena Bianchi dir von ihrem Bruder erzählt?« Sein Blick wurde finster, und eine strenge Falte erschien auf seiner Stirn. Die Worte »ihr Bruder« hatten wie ein wütendes Zischen geklungen.
Also wirklich … »Der verwegene Schmuggler? Ja, schon.« Sie wiederholte, was sie bereits von Elena gehört hatte. »Beide Familien hatten mit dem Kauf von Schmuggelware zu tun, waren aber Todfeinde – natürlich.«
Wenn Blicke töten könnten, läge sie jetzt hingestreckt auf dem Marmor der Piazza.
»Es gab eine Razzia durch Zollbeamte«, fuhr sie fort. »Alles ziemlich dramatisch. Elenas Bruder war überzeugt davon, deine Familie hätte sie verpfiffen.«
»Verpfiffen?« Die Furche auf seiner Stirn vertiefte sich.
»Sie an die Zollbeamten verraten.« Wie gern würde sie ihm noch ein wenig mehr Englisch beibringen …
»Niemals!« Der Tisch erzitterte unter Marcos Fausthieb.
Welch beeindruckende Loyalität gegenüber der Familie!, dachte Cari. Nur bedauerlich, dass er diese Loyalität der Frau gegenüber vermissen lässt, die er im letzten Sommer an einem Abend oben in den Hügeln verführt hat. All das Gerede über Wünsche und Träume, über das Restaurant, das er nach ihr Carissima nennen wollte … Vermutlich war das die italienische Art, eine Beziehung zu führen. Aber nicht mit ihr.
Sie zuckte die Achseln. »Es ist dein Streit, Marco. Nicht meiner.«
Seine Augen verengten sich. »Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht
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