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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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sie zu lieben.«
    Cari antwortete nicht. Als sie beim Tor stehen blieben, lauschte sie auf das inzwischen so vertraute Rauschen der Flut.
    »Ich weiß nicht, warum sie sich ausgerechnet für mich entschieden hat.« Edward lehnte sich schwer gegen das Tor. »Aber im Grunde spielte es keine Rolle. Vielleicht hat sie in mir eine Vaterfigur gesehen, weil sie sich auf ihren eigenen Vater nicht mehr verlassen konnte. Vielleicht habe ich ihr auch als Arbeitgeber eine gewisse Sicherheit vermittelt und ein Bedürfnis gestillt, über das wir nur Vermutungen anstellen können …«
    Bei seinen Worten wurde Cari plötzlich bewusst, dass sie eigentlich immer davon ausgegangen war, ihre Mutter sei ein Opfer gewesen, weil sie bei Caris Geburt erst achtzehn war. Aber nun fragte sie sich, ob Tasmin sich Edward nicht sogar ausgesucht hatte? Das ergab einen Sinn. Die Tagebucheintragungen unterstützten dies. Tasmin hatte immer ganz bewusst Entscheidungen getroffen.
    Das war gut. Cari blickte hinunter auf das Meer, das glatt und schimmernd wie eine Metallplatte dalag. Ja, es war gut. Edward hatte Recht. Es spielte keine Rolle, warum Tasmin sich ihm zugewandt hatte. Wichtig war, dass Edward ihrer Mutter etwas hatte geben können, was sie gebraucht hatte. Er hatte ihr geholfen – und später ihnen beiden, soweit Tasmin es zugelassen hatte.
    Cari schlang die Arme um sich. Ganz unerwartet fühlte sie sich jemandem zugehörig. In gewisser Weise hatte sich ihre Mutter auch für sie entschieden. Das war für sie von großer Bedeutung. Zeitlebens hatte ihre Mutter ihr so wenig anvertraut. Nie hatte Cari wirklich gewusst, was Tasmin bewegte. Doch nun dämmerte ihr, dass es nicht persönlich gemeint gewesen war. Tasmin war einfach ein sehr verschlossener Mensch gewesen, der alles mit sich selbst ausgemacht hatte.
    Aber das Geheimnis um meinen Vater hätte sie doch wirklich lüften können!, dachte Cari. »Und was war mit mir?«, flüsterte sie und wandte sich ihm zu. »Warum wollte sie es mir nicht erzählen?«
    Edward legte den Arm um ihre Schultern. »Ich glaube, sie hat es getan, Cari«, sagte er. »Ich glaube, sie hat es dir auf ihre Weise mitgeteilt.«
    Er hatte Recht. Das hatte sie.
    Beim Restaurant angelangt, bog Cari nach links und steuerte bergab auf das Dorf und das Meer zu. Es war noch früh am Vormittag, und in dem Restaurant deckten die Kellner gerade die Tische für das Mittagessen ein. Nur wenige Leute waren unterwegs, Bewohner der höher gelegenen Teile von Tellaro, die sich auf dem Weg zur Arbeit mit einem morgendlichen Espresso auf der Piazza stärken wollten oder zur Bäckerei und zu Marias Laden strebten, um Brot und Panini einzukaufen und das frischeste Gemüse und Obst zu ergattern.
    Cari hatte sich für heute ausgeklinkt. Aurelia war anscheinend froh gewesen, dass ihre Enkelin sich anderen Dingen widmete, da sie selbst Elena und Carmella bei den letzten Vorbereitungen für die Hochzeit helfen musste und Edward mit Enrico nach La Spezia gefahren war, um den so lebensnotwendigen Vorrat an alkoholischen Getränken aufzustocken. Alles war perfekt organisiert. Für Cari blieb nichts mehr zu tun.
    Cari indessen wollte ein Gespenst bezwingen. Sie hatte es wirklich satt, Marco nahezu jede Nacht im Traum zu begegnen und auch noch tagsüber zu den unpassendsten Momenten mit offenen Augen von ihm zu träumen. Und sie hatte den Schmerz des Verlustes verdammt noch mal satt. Sie wollte wütend werden – richtig schön wütend, um sich von ihm zu befreien. Darum suchte sie nun den ersten Ort auf, an den er sie damals mitgenommen hatte. Als sie an jenem Tag auf der Piazza gesessen und Kaffee getrunken hatten, hatte er wahrscheinlich überlegt, ob er sie zu ihrer Großmutter führen solle oder nicht. Und ohne ihn hätte Cari sie vielleicht nie gefunden.
    Sie schlenderte an den mit Terrakottaschindeln gedeckten Häusern vorbei den Hügel hinab. Am Gitterwerk der Balkone und hinter den steinernen Balustraden blühten bereits die ersten Frühlingsblumen. Die Mandel- und Kirschbäume in den Vorgärten trugen zarte, Zuckerwatte ähnelnde Blüten, Clematis und Bougainvilleen rankten sich um Zäune und an Steinmauern hinauf, und Glyzinien mit schweren blauen Blüten schmückten Eingangstore und Geländer.
    Stefano hatte bei der kurzen Begegnung gestern Nacht argwöhnisch gewirkt, heute Morgen war er etwas zugänglicher gewesen. Er hatte ihr von seiner Freundin erzählt, einer Engländerin namens Jayne, und hinzugefügt, er wisse noch nicht, wie

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