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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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sich die Beziehung entwickeln werde. Aber er hatte dabei jung und hoffnungsvoll ausgesehen. Warum nur hatte Cari sich vor dieser Begegnung gefürchtet? Dieser Familienstreit hatte doch nichts mit ihr zu tun. Vermutlich war Stefano mit sich selbst nicht im Reinen.
    Schließlich erreichte sie die Piazza. Nur ein einzelnes Paar saß an einem der Holztische vor dem Café. Missmutig rührte die Frau in ihrer Tasse und starrte an dem Mann vorbei, der sich in flehentlicher Haltung zu ihr hinüberneigte. Womit mochte er ihren Zorn erregt haben? Hatte er einer anderen zu viel Aufmerksamkeit gewidmet? Sie warten lassen, als sie gestern tanzen gehen wollte? Vergessen, ihr Blumen mitzubringen?
    Cari eilte vorüber. Aus dem Innern des Cafés hörte sie jemanden rufen, doch sie achtete nicht darauf. Sie wollte keine Gesellschaft, war nicht in der Stimmung für ein neckisches Geplänkel oder einen Flirt. Der Marmor unter ihren weißen Schuhen war noch nicht von der Morgensonne getrocknet und rutschig. In den Steintrögen und Terrakottakübeln versprühten Lilien ein Feuerwerk in leuchtendem Gelb und Orange. Der Oleander trug die ersten Knospen, die Zweige mit den schmalen Blättern in stummer Erwartung in die Höhe gestreckt.
    Cari dagegen wartete nicht – nicht mehr. Ihr war, als habe die Eingangstür des Cafés geknarrt, aber sie drehte sich nicht um. Sie meinte, jemand habe ihren Namen gerufen, doch der Wind säuselte so, dass sie es sich bestimmt nur eingebildet hatte. Sie würde dieses Gespenst endgültig verjagen. Auch ohne ihn konnte sie hier in Italien leben und glücklich sein.
    Leichtfüßig durchquerte sie einen Bogengang und bog in eine schmale Gasse ein, die im Schatten der auf beiden Seiten aufragenden Steinhäuser lag.
    »Cari!«
    Die Stimme hallte in ihrem Kopf wider und verfolgte sie, während sie hinunter zum Meer lief. Unter der Laterne der Barockkirche machte sie Halt, lehnte sich ans Geländer und sah hinab auf die winzige Bucht von Tellaro, wo die fröhlich bunten Fischerboote an der steinernen Hafenmole vertäut lagen. Die schwarzen Felsen glänzten wie die Rücken von Seelöwen, und die Wellen brachen sich schäumend am Strand.
    Hier holte er sie ein.
    »Cari.«
    Sie beachtete ihn nicht. Solange sie ihn nicht sehen konnte, war er auch nicht da. Stur blickte sie hinaus aufs Meer. Doch irgendwo zwischen den Schulterblättern spürte sie ein Beben.
    »Bist du taub? Was ist los mit dir? Hast du nicht gehört, wie ich gerufen habe? Jesus, Madonna …«
    Sie wirbelte herum. »Wag es bloß nicht!«
    Er war es wirklich. Viele Fragen lagen ihr auf der Zunge – aber sie verflüchtigten sich mit der Meeresbrise. Sie wollte ihn nicht ansehen, nicht richtig.
    Er hob die Hände. Unschuldig? Beileibe nicht! »Was? Was ist los mit dir?«
    »Acht Monate Funkstille!«, fauchte sie und erkannte sich dabei selbst kaum wieder. Seit wann konnte sie so zur Furie werden? Aber war es nicht genau das, was sie sich gewünscht hatte? So richtig wütend zu werden? »Und du fragst mich, was los ist?«
    Er ließ den Kopf hängen. »Du hast Recht. Es tut mir leid. Ich …«
    »Spar dir die Worte!« Nie mehr, dachte sie. Schlicht und einfach – nie mehr.
    »Ich bin erst gestern Nacht zurückgekommen«, begann er. »Und ich würde gern mit dir reden.« Er hob den Kopf und sah sie an. Diese schwarzen Augen … »Ich möchte dir alles erklären.«
    In ihrem Innern ballte sich ein Knoten zusammen. »Es ist zu spät, Marco.« Wieder richtete sie den Blick zum Horizont. Sie war hier, um ein Gespenst zu vertreiben, und war einem Menschen aus Fleisch und Blut begegnet. Diesem Menschen. Sie verspürte den Drang zu lachen, hysterisch zu werden, weil sie genau diese Begegnung hatte vermeiden wollen.
    »Bitte!« Er berührte sanft ihren Arm.
    Beinahe erwartete sie dort, wo er sie berührt hatte, ein Mal zu sehen.
    »Obwohl ich keinen Anspruch darauf habe, dass du mich anhörst.«
    Wie wahr!
    »Aber ich glaube, es gibt da ein paar Dinge, die du wissen willst.«
    Sie wartete. Misstrauisch. Sie hörte, wie unterhalb ein Fischerboot auf den Strand gezogen wurde. Bald würde der Fischer den frischen Fang feilbieten, die besten Stücke jedoch für das Restaurant auf dem Hügel aufheben. Cari ballte die Fäuste. Auch sie hatte ihr Bestes für ihn aufgehoben.
    »Dinge«, fuhr Marco fort, »die du wissen musst .«
    Sein Haar war länger geworden. Die Locken ringelten sich auf dem Kragen seines weißen Hemdes. Die beiden obersten Knöpfe waren geöffnet.

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