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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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unweigerlich an die Siebzigerjahre erinnert fühlte und die Gegenwart vergaß.
    Allmählich stieg die Stimmung. Das Gelächter schwoll an, die Menschen wurden sichtlich lockerer. Kein Aschenbecher weit und breit, Zigarettenkippen schwammen in halb geleerten Biergläsern. Tasmin ergänzte das traurige Sortiment um eine weitere Kippe und öffnete den Kühlschrank, der vor einer Stunde voller Moët gewesen war. Gähnende Leere! Nicht eine einzige Flasche Champagner war übrig geblieben. Dafür kühlten im Waschbecken etliche Flaschen Weißwein in einem großen Eimer mit schmelzendem Eis. Tasmin prüfte die durchweichten Etiketten. Ein Pinot täte es auch – besser als nichts –, wenngleich sie für gewöhnlich alles mied, was mit Italien zu tun hatte. Zu viele Erinnerungen!
    Plötzlich fiel ihr das Foto wieder ein. Die zierliche blonde Frau. Ein italienischer Garten. Ein Labyrinth? Tasmin löschte das Bild umgehend aus ihrem Gedächtnis und straffte den Rücken. Den Korkenzieher zu finden war jetzt viel wichtiger. Erinnerungen waren schmerzhaft. Alkohol brachte Vergessen – zumindest für eine Weile.
    Tasmin füllte ihr Glas. Wenn sie arbeitete, trank sie nicht. Sie übte sich in Selbstdisziplin, die für sie etwas Beruhigendes hatte: Du schaffst es, Mädchen! Doch am Wochenende lebte sie in den Tag hinein. Da wollte sie sich vergnügen. Das war geradezu ein Muss.
    »Schätzchen!« Ariadne tauchte unerwartet aus all dem Marihuana-Nebel, Zigarettenrauch und dem Dunstkreis anderer Leute vor ihr auf. »Da bist du ja!«, rief sie und legte die Hand auf Tasmins Arm. Etwas Anschmiegsames aus lila Chiffon umschmeichelte ihren raffinierten Halsausschnitt. Daumen und Zeigefinger hielten einen Joint. »Amüsierst du dich?« Sie küsste Tasmin überschwänglich auf beide Wangen.
    »Und wie!« Das war typisch für die Welt der Künstler und Diven, in der man zuweilen einen Blick hinter das Gehabe werfen muss, um die wahren Juwelen ausfindig zu machen. Tasmin war damit vertraut. In Edwards Galerie hatte sie fast drei Jahrzehnte mit Künstlern dieser Sorte gearbeitet. Deren Partys hatten immer einen Touch von Boheme und waren zum Glück niemals langweilig.
    »Wunderbar. Ist dir schon jemand … mmh, Interessantes über den Weg gelaufen?« Mit ihrem charakteristischen Blick musterte Ariadne Tasmins weiße Seidenhose und das dazu passende Oberteil. Tasmin konnte Ariadnes Gedanken förmlich lesen: knochige Schlampe auf der Jagd.
    Sie lachte. »Nur keine Eile!« Welche Sorte Mann könnte man auf diesen Partys schon kennenlernen? Und was brächte das überhaupt? Eine flüchtige Begegnung in der Gewissheit, dass er sich schon am Morgen wieder aus ihrem Leben stehlen würde. Mehr durfte man nicht erwarten. Aber das wäre auch das Sicherste.
    Tasmin entfernte sich unauffällig. Sie wollte Salsa tanzen, sich voll und ganz der Stimmung hingeben.
    »Und was hast du so getrieben?«, erkundigte sich Ariadne mit wiehernder Stimme.
    Die Frage bezog sich auf Tasmins kreatives Schaffen. Ariadne betrachtete gewöhnliche, nicht kreativ tätige Menschen ziemlich von oben herab. Da Tasmin als Fotografin in einer Galerie hinter den Kulissen arbeitete und nicht als Künstlerin in Erscheinung trat, bekam sie Ariadnes Verachtung häufig zu spüren. Aber das kümmerte sie nicht. Es gelang ihr ohnehin nur mit Mühe, Edward zu verheimlichen, was sie in Wahrheit tat, und da konnte sie auf Ariadnes Kommentare erst recht verzichten. Tasmins Arbeit erforderte Dunkelheit. Sie war nicht für ein Publikum gedacht. Überdies gab es Tage, die sogar dazu noch zu dunkel waren. Tage, an denen Erinnerungen zu einer Spirale der Hoffnungslosigkeit führten. Spiralen … Nein, nein, über Spiralen wollte sie jetzt nicht nachdenken.
    »Nichts Besonderes.« Tasmin atmete die unterschiedlichsten Gerüche ein: von Bier, Rotwein, Gebäck, Parfum, Schweiß und Marihuana. Typische Party-Gerüche. »Bis später«, sagte sie und schlenderte weiter.
    »He, Schätzchen, ich muss dir was erzählen. Es gibt jemanden …«
    »Später!« Tasmin quetschte sich an einem großen Mann in einem terrakottafarbenen Leinenhemd und Jeans vorbei und warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Die Schatten unter seinen Augen besaßen genau die richtige Farbe. Vielleicht … Sie spürte, wie sie gegen ihn geschubst wurde.
    »Es war etwas Wichtiges!«, wieherte Ariadne hinter ihr. »Jemand aus deiner Vergangenheit, der dich begrüßen möchte.«
    Jemand aus meiner Vergangenheit?
    »Tut mir leid.« Tasmin

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