Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
Vom Netzwerk:
Moment einmal gezeigt hatte. Genauso eingeschlossen und erstarrt fühlte Tasmin sich. Und nun wollte Gail alles wieder aufwühlen, ihre Erstarrung lösen und die Erinnerungen wieder beleben.
    »Weißt du noch, wie eng wir damals befreundet waren?«
    »Ja.« Sehr eng. Doch da ihre Mutter sie verlassen hatte und ihr Vater … hatten sie zwangsläufig den Kontakt verloren.
    »Ich hoffte, du würdest es verstehen«, sagte Gail. »Meine Schuld war es nicht.«
    Tasmin starrte sie an.
    »Hast du es bemerkt?«
    »Äh …« Wovon spricht diese Frau?
    »Weißt du es?«, hakte Gail nach. »Du weißt doch, was damals passiert ist, oder nicht?«
    Tasmins Stilettos sanken tief in den weichen Rasen. Sie standen vor einem Beet mit Stiefmütterchen und Narzissen, das von Buntglaslaternen beleuchtet wurde, die Ariadne geschickt in die Obstbäume gehängt hatte.
    »Was damals passiert ist …«, wiederholte Tasmin. Dabei wollte sie es gar nicht wissen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, dachte sie. Das ist ein Klischee, doch wie die meisten Klischees ist es unbestritten wahr.
    »Deine Mutter hat es dir doch bestimmt erzählt.«
    »Meine Mutter …« Musik drang durch den Park zu ihnen. Tasmin entzog Gail den Arm. Sie wollte nicht an ihre Mutter denken. Sie wollte zurück zur Party.
    Doch Gail war nicht aufzuhalten. »Sie hat mir sehr leid getan«, sagte sie.
    »Wirklich?« Tasmin wusste, dass sie ziemlich reserviert klang. Weshalb soll Gail Mitleid mit meiner Mutter empfunden haben? Mutter hatte aus einer nüchternen Überlegung heraus eine Entscheidung getroffen. Eher aus Egoismus als aus Liebe. Sie hatte sich davongemacht. Ende der Geschichte.
    »Wahrscheinlich war es zu demütigend für sie.« Gail strich mit der Hand über die Borke eines Eukalyptusbaums, dessen silbrige Blätter in der Dunkelheit zu leuchten schienen.
    Tasmin ahnte, dass Gail es genoss. Was immer dieses »Es« sein mochte. Sie entschied, die Unterhaltung abzubrechen. »Lass uns wieder hineingehen!«, schlug sie vor und wandte sich dem Haus zu. Ihr Tanzpartner wartete bestimmt schon mit den Drinks. Und Ariadne hatte kolumbianische Musik aufgelegt – sie hörte bereits die heißen Salsa-Rhythmen. »Das ist schließlich eine Party. Ich bin hier, um zu tanzen.«
    Aber Gail packte sie am Arm. »Du weißt also nichts davon, hab ich Recht?«, fragte sie, die Augen weit aufgerissen.
    »Es liegt doch schon so lange zurück.« Tasmin beschleunigte den Schritt. In der Ferne schrie eine Eule. »Am besten vergisst man so etwas.«
    »Wenn es einem gelingt.« Gail schüttelte den Kopf. »Wenn man so etwas überhaupt jemals vergessen kann .«
    Tasmin seufzte. Sie wollte nicht über die Vergangenheit reden. Sie wollte zurück ins Haus, in das Hier und Jetzt, wollte nur das Hämmern der Musik hören. Sonst nichts. Sie wollte vergessen, verflixt noch mal! »Meine Mutter hat uns verlassen«, sagte Tasmin. »Ansonsten gibt es nichts zu erinnern.«
    »Und kann man ihr das zum Vorwurf machen?«, ertönte Gails Stimme. »Kann man ihr, nach all dem, was sich dein Vater geleistet hatte, Vorhaltungen machen?«
    Tasmin sah Gail entsetzt an. »Was hat er denn getan?«
    Stille.
    Genauso hatte sie es sich vorgestellt. Ein melodramatischer Auftritt. Typisch Gail! »Er hat getrunken – na und? Viele Leute trinken. Vielleicht war er Alkoholiker. Und wie hat Mutter ihm geholfen? Sie hat sich aus dem Haus geschlichen, um zu malen. Tag für Tag. Ohne sich um seinen erbärmlichen Zustand zu kümmern.« Tasmin spürte die Kälte auf den Wangen. Es war genug.
    Gail holte tief Luft. »Du musst doch gewusst haben, dass das Problem weitaus größer war.«
    Tasmin zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Meinst du?« Doch im Innern kochte sie vor Wut. Wie kommt Gail dazu, so über Vater zu reden?, fragte sie sich. Für wen hält sie sich eigentlich?
    Gail blieb stehen. Neben der gefiederten blassrosa Clematis montana, die sich an einem Spalier emporrankte, wirkte ihr Gesicht beinahe durchsichtig. »Ich erzähle es dir«, sagte sie.
    Und Tasmin hörte zu. Sie wollte es zwar eigentlich nicht, aber sie tat es dennoch.
    Gail erzählte ihr die ganze Geschichte.
    Vergeblich versuchte Tasmin, Gails Redeschwall zu unterbrechen, doch die einstige Freundin war nicht zu bremsen. Tasmin lauschte ihr entgeistert. Die Nacht erschien ihr nun ganz besonders trostlos, die Musik drang nur mehr als bruchstückhaftes Dröhnen an ihr Ohr, und die Partygäste verschwammen zu schattenhaften Gestalten. »Ich glaube

Weitere Kostenlose Bücher