Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
einigermaßen geordneten Bahnen verlief. Sie arbeitete, kümmerte sich wie eh und je um ihre Kunden, als hätte sich in ihrem Leben nichts verändert. Aber wie konnte das sein? Das Leben sollte eigentlich gar nicht »normal« sein, denn Tasmins Tod hatte alles auf den Kopf gestellt. Cari fühlte sich ziellos, als hätte sie die Orientierung verloren. Alles war irgendwie verrückt. Edward bereitete die Ausstellung von Tasmins Fotos vor, die in zwei Tagen eröffnet werden sollte, Dan drängte sie in eine gemeinsame Zukunft, bei jedem Treffen ein bisschen mehr. Und nachts lag sie lange wach, las im Tagebuch ihrer Mutter und versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Wohin führte ihr Weg?
»Gut.« Marco nickte beifällig.
Ihr wurde klar, dass er ihr Zufluchtsort war. Ein Hafen der Ruhe, wo sie entspannen konnte und der Druck von ihr abfiel. Erneut schloss sie die Augen. Hier wurde sie von niemandem unter Druck gesetzt.
Doch als sie die Augen öffnete, begegnete sie seinem forschenden Blick. Als ob … Sie seufzte. Jeder wollte etwas von ihr, nicht wahr? Aber im Augenblick glaubte sie nicht, dass sie noch mehr zu geben hatte.
Cari schlug das Tagebuch auf.
Er trinkt immer mehr. Ich weiß, er kann nicht mehr aufhören. Morgens geht es ihm ganz gut – zwar brummt ihm der Kopf, aber das ist ja auch verständlich. Und er ist verbittert – das ist ihre Schuld. Mittags fängt er an. Er isst sehr schnell, als könne er es gar nicht erwarten. Und dann geht es los. Ein großes Glas Whisky. Und noch eins. Der Alkohol bestimmt unseren Tagesablauf.
Manchmal bekomme ich Angst. Nachts ist er lange mit Janey und den anderen unterwegs. Janey ist ein billiges Flittchen – in dem Punkt muss ich ihr Recht geben. Und wenn er nach Hause kommt, will er reden. Reden und …
Mein Gott, ich will kein Ersatz für meine Mutter sein! Das werde ich nie sein! Ich kann ihn nicht verlassen, nicht jetzt. Aber sie sollte eigentlich hier sein. Warum mutet sie uns all diesen Mist zu? Was geschieht nur mit uns? Früher waren wir eine Familie. Und nun …
Und nun? Caris Magen verkrampfte sich. Was meinte sie mit diesem und nun ? Was geschah genau, wenn Tasmins Vater Richard spät in der Nacht betrunken nach Hause kam …?
Es ist spät, dachte sie. Kein guter Zeitpunkt für die Lektüre dieses Tagebuchs und erst recht kein günstiger Zeitpunkt, um sich wilden Spekulationen hinzugeben. Aber ihr Herz wurde schwer, wenn sie an Tasmin dachte. Sie war erst achtzehn, ihre Mutter hatte die Familie verlassen, der Vater trank. Wen wunderte es da, dass sie Cari nie von den Großeltern erzählt hatte? Dass sie die Vergangenheit begraben und zusammen mit ihrer Tochter ganz neu anfangen wollte?
Cari knipste das Licht aus, doch es dauerte lange, bis sie Schlaf fand. Die Worte, hingeworfen in der großzügigen, steilen Handschrift ihrer Mutter, wirbelten in ihrem Kopf herum. Und nun … Und nun …
Sie hatte nachgerechnet und festgestellt, dass sich die Eintragungen im Tagebuch dem Zeitpunkt ihrer Zeugung näherten. Ein seltsames Gefühl. Sie wusste gar nicht, wie sie es geschafft hatte, nicht weiterzublättern und weiter hinten nachzuschauen – schließlich brannte sie darauf, es zu erfahren … Wer war ihr Vater? Vermutlich hielt die Angst sie zurück. Denn sie wusste überhaupt nicht, was sie erwartete. Und ob sie die Wahrheit verkraften könnte.
K
apitel 13
Aurelia fühlte sich angesichts dessen, was sie Elena mitzuteilen hatte, nicht besonders wohl in ihrer Haut. Sie hatte sich unter der Pergola auf Elenas bequemer Holzbank eingerichtet, die Beine hochgelegt, Rücken und Schultern mit Kissen gepolstert. Es hatte zu regnen aufgehört, und die heiße Maisonne brach durch die Wolken, sodass sich die Terrasse wie so oft als der angenehmste Ort erwies. Kaum saß Aurelia aufrecht auf der Bank, bot Elena ihr zusätzlichen Komfort an – hier, nimm den Schemel und noch ein paar Kissen. Lehn dich zurück, entspann dich! … Elena machte ihre Gäste zu hilflosen Wesen, um ihnen nach Herzenslust Getränke und Essen aller Art aufdrängen zu können. Bestimmt glaubte Elena, ihre Freundin sei wieder einmal auf irgendeiner englischen Diät (wie sonst wäre sie so dünn?).
Die in Terrakottakübeln gepflanzten Orangen- und Zitronenbäume bildeten mit den bereits üppig blühenden weißen und rosaroten Petunien ein Quadrat. Gärten in Italien, so hatte Aurelia festgestellt, unterlagen bestimmten Regeln. Sie warf einen Blick auf das Haus hinter ihr, durch dessen
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