Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
ihn sich wiedergeholt, hätte Tasmin in die Arme genommen, sie einfach gepackt und mit nach Italien geschleppt. Aber eine innere Stimme sagte ihr, dass sie Tasmin längst verloren hatte. Sie würde ihr die Bernsteintriskele überlassen – als Schutz, aus Liebe, weil ihre Großmutter gewollt hatte, dass sie sie an ihre Tochter weitergab, weil sie das Kostbarste war, das sie besaß. Tasmin zu verlieren war der Preis, den sie für ihre Flucht zahlen würde.
»Aurelia?«
Sie fuhr zusammen. Sie hatte ihn nicht kommen hören und war ein wenig überrascht, dass er sie gefunden hatte. »Enrico?« Nur selten betrat er das Labyrinth. Rief es immer noch zu viele schmerzliche Erinnerungen wach – an Catarina und an das, was er verloren hatte?
»Was machst du da?« Seine Stimme klang sanft. Der Zorn war durch das Klavierspiel verflogen. Enrico hatte ihn an den Tasten ausgelassen.
Sie versuchte zu lachen. »Ich male. Ich wollte spezielle Lichtverhältnisse einfangen …«
Er streckte die Hand aus. »Wenn es dir so wichtig ist, cara «, sagte er, »dann wird die Hochzeitsfeier in La Sirena stattfinden.«
»Nein.« Das konnte sie nicht zulassen, da sie genau wusste, wie er darüber dachte.
»Doch«, erwiderte er entschieden. »Ich habe Elena bereits angerufen und es ihr mitgeteilt.«
Aurelia spürte, wie eine Traurigkeit von ihr Besitz ergriff.
»Aber ich bin nicht glücklich damit, Aurelia«, fügte Enrico hinzu. Er wirkte plötzlich alt und müde. »Ganz und gar nicht glücklich.«
K
apitel 12
Cari nippte an ihrem Pinot Grigio und gab sich ganz der Musik hin. Es war so beruhigend, einfach da zu sein und Marco zuzuhören.
Sie beobachtete, wie gekonnt seine schlanken braunen Finger die Saiten der Gitarre anschlugen. Er hielt den Kopf gebeugt, sodass die dunklen Locken ihm wild ins Gesicht fielen. Die winzige Creole im Ohrläppchen machte das Bild eines Bohemien perfekt. Zudem hatte er eine schöne Stimme, tief und ein wenig rauchig. Allerdings wusste sie nicht, wovon das Lied handelte, weil er auf Italienisch sang. Sie liebte die Laute, den Tonfall, das rollende R, die langen Vokale. Mmmm. Diese Sprache war wirklich erotisch.
Sie hatten es sich in seinem Wohnzimmer auf dicken Sitzkissen bequem gemacht. Die gelb gestrichenen Wände waren kahl bis auf einen wuchtigen venezianischen Spiegel, den er vor ein paar Wochen in North Laine entdeckt hatte. Die Wohnung gab Cari Rätsel auf – Marco wurde immer geheimnisvoller. Einerseits hatte er nur wenige Möbelstücke, was den Schluss nahelegte, dass er Student und knapp bei Kasse war. Die Sitzkissen waren aber aus reiner Seide und von Hand bestickt, und Cari wusste, dass so etwas teuer war. Seine Küche war gut bestückt mit teuren Delikatessen aus dem Feinkostladen und einem Weinregal mit italienischen Weinen, ein Esstisch fehlte jedoch. Außerdem schien er nur wenige Kleidungsstücke zu besitzen. Die, die er trug, waren allerdings von erstklassiger Qualität. Ob er ein reicher Student war, der nicht allzu lange in Brighton bleiben wollte? Und wer war er? Cari wusste so wenig über ihn.
Als er das Lied beendet hatte, stellte sie ihr Glas vorsichtig auf dem ausgetretenen grünen Teppich ab und applaudierte. »Das war toll.«
»Danke.«
»Um was ging es in dem Lied?«
»Ah.« Er tat geheimnisvoll. »Es war natürlich ein Liebeslied.«
»Das dachte ich mir schon.« Das italienische Temperament. Leidenschaft … Sie wünschte, sie würde einmal einen Engländer erleben, der mit solcher Inbrunst sang.
»Wir Italiener singen gern von der Liebe.« Seine Augen leuchteten.
Cari lachte. »Das machst du wirklich gut.« Sie fühlte sich wohl in Marcos Gesellschaft. In den Wochen seit ihrer zufälligen Begegnung hatten sie sich ein paarmal getroffen – nicht nur im Treppenhaus, sondern auch ganz zwanglos auf einen Kaffee in seiner oder ein Glas Rotwein in ihrer Wohnung. Sie hatte ihm von Dan erzählt, und er hatte nur verständnisvoll genickt und gemeint, sie könne von Glück sagen, dass sie jemanden gefunden habe, den sie liebe. Cari hatte sich zu jener Zeit allerdings eher so gefühlt, als ersticke sie. Immer wieder nahm sie sich vor, sich von Dan zu trennen. Natürlich war er nett, großzügig und ihr Fels in der Brandung. Aber eine Frau musste atmen können … Davon erzählte sie Marco jedoch nichts. Sie vermutete, dass dieser romantisch veranlagte Mann keine Freundin hatte – erstaunlich, wenn man bedachte, wie umwerfend er war.
»Hast du in Italien eine Freundin?«,
Weitere Kostenlose Bücher