Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
fragte sie ihn.
Er zuckte die Achseln. »Keine, die mir mehr bedeutet.«
Das hieß wahrscheinlich, dass er sich nicht festlegen wollte. Das war das Problem mit diesen sexy aussehenden südländischen Männern – sie vermittelten einer Frau stets das Gefühl, für sie die Einzige zu sein. Und der nächsten auch und der übernächsten ebenso. Bei Dan wusste sie wenigstens, woran sie war. Sie war die Nummer eins. Auf seine Loyalität konnte sie sich hundertprozentig verlassen, und das bedeutete eine Menge, vor allem, wenn man sich sein ganzes Leben lang nach Sicherheit gesehnt hatte.
»Erzähl mir von deiner Familie!«, forderte sie ihn auf.
Seine Miene verdüsterte sich – oder bildete sie sich das nur ein? »Meine Eltern sind tot«, antwortete er.
»Das tut mir leid.« Vielleicht hatte er deswegen so verständnisvoll auf ihren Schmerz reagiert. Dan dagegen hatte versucht, das Ruder in die Hand zu nehmen, sie zu übereilten Entscheidungen zu drängen, und sie letztendlich beschuldigt, ihre Trauer zu kultivieren. Du meine Güte! Während dieser Mann mitfühlend lächelnd ihren Blick erwidert und gesagt hatte: »Deine Mutter ist gestorben. Du brauchst Zeit. Jeder braucht bei so etwas Zeit.« Er hatte ihr zugehört, ihre Entscheidungen respektiert. Das bedeutete ihr sehr viel.
Und zum Dank hatte Cari ihm ihre Freundschaft geschenkt. Sie hatte sich ihm als Fremdenführerin in Brighton angeboten, ihm gezeigt, wo es das feinste Essen und die besten Cocktails gab, wo die interessanten Ausstellungen, tolle Live-Musik und spannende Lesungen stattfanden. Sie hatte ihm mit Zucker ausgeholfen und nach einer langen Kneipentour seinen Kater kuriert. Es mochte nicht viel sein, aber sie waren Nachbarn und füreinander da. So einfach war das. Allerdings … Vielleicht war es doch nicht ganz so einfach …
Er zuckte noch einmal die Achseln. »Es ist schon lange her. Also wohne ich nicht in ihrem Haus – übrigens, in Italien ziehen die jungen Leute viel später bei den Eltern aus als hier in England …« Sie hatte das Gefühl, dass er sich über sie lustig machte. Oder über die Engländer, die so eifrig darauf bedacht waren, die Bindung zu den Eltern zu lösen und sich in das Risiko der Unabhängigkeit zu stürzen.
»Ist das wahr?«
»Aber ja. Es gilt als Respektlosigkeit, so bald von zu Hause auszuziehen.« Er legte die Gitarre zur Seite. »Ich wohne bei meiner Großmutter.«
Immerhin hast du eine Großmutter, dachte Cari. Es war unfair, aber sie verübelte es Tasmin nach wie vor, dass sie ihr jeden Zugang und jede Information über ihre Vorfahren verweigert hatte. In Italien wäre so etwas bestimmt nicht möglich. Familienbande hatten oberste Priorität. »Wo?«, fragte sie ihn.
»In einem kleinen Dorf südlich von Genua …« Seine Augen nahmen einen träumerischen Ausdruck an. »Es liegt auf einem Hügel, nur anderthalb Kilometer vom Meer entfernt, hoch über einem terrassierten Hang …«
Caris Blick war fragend.
»Früher«, sagte er mit gespieltem Ernst, »legte man Terrassen für die Weinstöcke und Olivenhaine an. So haben die Bauern die Hügel nutzbar gemacht.«
Sie nickte. Sein Englisch klang wirklich charmant.
»Alle Familien lebten einst von dem, was das Land hervorbrachte«, erzählte er weiter.
»Und wie ist das Dorf?«
»Es ist von Pinienhainen und Kastanienwäldern umgeben.«
Sie versuchte es sich vorzustellen.
»Die Häuser sind leuchtend bunt gestrichen, das ist überall in den Küstenstädten so. Hast du das gewusst?«
Cari nickte. Sie hatte Bilder von italienischen Dörfern am Meer gesehen, Grüppchen von bunten Häusern in einer Bucht, in der Fischerboote ankerten.
»Aber es ist eigentlich kein richtiger Küstenort.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Es ist ein mittelalterliches Dorf mit einer langen Geschichte. Ein Teil der alten Stadtmauern steht noch.« Er hielt inne.
Cari hätte gern mehr über die Geschichte dieses Orts gehört. Aber sie schwieg. Sie wollte seinen Redefluss nicht unterbrechen, nun, da er ihr endlich etwas über sich selbst erzählte.
»Oben auf dem Hügel liegt eine große Piazza. Sie wird von Orangenbäumen umrahmt.« Er malte ein großes Viereck in die Luft. »Hier ist das Rathaus, der Palazzo Comunale , das früher eine Burg war. Und von dort blickt man über die alten Stadtmauern hinunter zu den Terrassen und ortos bis zum Meer.«
»Ortos?« , fragte sie.
Er runzelte die Stirn. »Wo die Leute Gemüse und Obst anbauen.«
»Ach, du meinst Schrebergärten.«
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