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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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doch nur einen Anhaltspunkt gäbe! Etwas, was sie auf die richtige Spur führen würde!
    »Hat sie sich vor dem Leben versteckt?«, hakte er nach. »Oder vor sich selbst?«
    »Vermutlich vor beidem.« Keine emotionsgeladenen Passagen mehr über ihren Vater und dessen Trunksucht; keine Hasstirade gegen die Mutter, die sie verlassen hatte. Stattdessen schien alles geglättet, als habe sich die Verfasserin bemüht, vollkommen normal zu wirken. Oder Kontrolle zu bewahren.
    Er setzte sich neben sie auf die Couch und streckte lässig die Beine aus.
    Relaxed, dachte Cari, eine Haltung, die Dan vollkommen fremd ist. Während Dan immer absolut aufrecht stand wie ein Fels, ähnelte Marco eher einer Eidechse. Er war beweglich und gab sich zwanglos, was ihn und sie betraf. Andererseits hatte sie das ungute Gefühl, eine Frau sollte sich vor Eidechsen in Acht nehmen. Besaßen sie nicht auch gespaltene Zungen?
    »Hat sie dir keine Geschichten erzählt, als du klein warst?« Ein träumerischer Ausdruck malte sich auf seinem Gesicht, während die langen Finger mit dem Stiel des Weinglases spielten. »Meine Mutter und meine Großmutter haben mir immer Geschichten erzählt.«
    Cari beneidete ihn glühend darum und wollte sie zur ihrer eigenen Überraschung auch hören – irgendwann einmal. »Nein. Meine Mutter hat mir nichts erzählt«, antwortete sie. »Sie sagte, ihre Eltern seien beide tot. Das war alles. Nichts über ihre Kindheit, nichts über ihre Großeltern.« Sie kam sich so betrogen vor.
    »Tot?« Er wirkte überrascht.
    Warum bloß? Weil Italien mit all seinen gesunden Gemüsesorten und dem gesundheitsfördernden Olivenöl Großeltern zu Ur- oder sogar zu Ururgroßeltern werden ließ? Sie nickte. »Mit anderen Worten, ich habe keine Familie mehr.« Das klang nach Selbstmitleid. Und das empfand sie auch.
    »Und diese Dame?« Er sprang auf, griff nach dem Foto auf dem Tisch und betrachtete es prüfend.
    »Sie sieht meiner Großmutter ähnlich«, erwiderte sie. »Hast du eine Idee, wo es aufgenommen sein könnte?«
    Er reagierte zögerlich. »Keine Ahnung. Das Foto scheint alt zu sein. Es ist schon etwas vergilbt«, antwortete er und setzte sich wieder.
    Damit hatte er möglicherweise Recht. Wahrscheinlich war es sinnlos, darüber zu spekulieren. »Ist ja auch egal. Selbst wenn es sich tatsächlich um meine Großmutter handelt – ich werde sie nie kennenlernen.« Sie ließ sich im Schneidersitz neben ihm nieder. »Ich kann es nicht ändern.«
    »Aber du willst immer noch wissen, wer sie war?« Sein Fuß berührte leicht ihr Bein. »Richtig?«
    »Und woher der hier stammt.« Sie nahm den Anhänger in die Hand. Der mysteriöse Bernstein schien ihr zuzuzwinkern, die winzige Libelle, die offenbar mitten im Flug erstarrt war – als wolle sie entkommen, dachte sie. »Ich weiß nichts darüber«, wiederholte sie. »Es gibt so viele offene Fragen …«
    Er nickte verständnisvoll.
    »Beispielsweise, wie der Anhänger in den Besitz meiner Mutter gelangt ist.« Edward, den Einzigen, der ihrer Meinung nach die Wahrheit wissen könnte, hatte sie bereits gefragt. Aber er hatte den Anhänger noch nie gesehen. Wenn der Anhänger Tasmin so stark an die ungeliebte Mutter erinnerte – warum hatte sie ihn dann aufgehoben? War er so wertvoll? Bernstein war nur ein Halbedelstein. Aber dieser war alt – vermutlich jahrhundertealt, oder? – und besaß vielleicht wegen des eingeschlossenen Tieres Seltenheitswert. Wie auch immer, der Anhänger – ob wertvoll oder nicht – hatte zweifellos eine Geschichte. Vielleicht sogar eine, die mit ihrer Familie zusammenhing.
    Marco deutete auf das Tagebuch. »Vielleicht erzählt sie es dir später«, sagte er. »Hast du es zu Ende gelesen?«
    »Nein.« Sie musste das Tagebuch in kleinen Dosen zu sich nehmen. Sie hatte ja schließlich noch andere Pflichten: ihre Kundinnen, die Eröffnung der Retrospektive in der kommenden Woche, zu der sich Edward nahezu täglich wegen dieses und jenes Details an Cari wandte. Und außerdem gab es noch Dan. Und Marco. Der wahre Grund jedoch war, dass sie bei der Lektüre beinahe jedes Mal in Tränen ausbrach. Weinen laugte aus. Aber Cari brauchte all ihre Kraft.
    »Dann findest du vielleicht noch, was du wissen willst.« Marco schien sich sehr sicher zu sein.
    Er sah sie so lange an, dass Cari gezwungen war, den Blick abzuwenden. Dan fehlte die Muße, um sich mit ihren Familiengeschichten zu beschäftigen. Er konnte nicht einmal verstehen, warum sie den Anhänger tragen

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